Lux Aeterna

 

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Prologue

Time and Memory.

Frozen in Crystal.

Awaiting the One Moment.

When The Hands of Time

Begin to Move...

Once Again.

 

 

 

 

 

Einst gab es in dieser Welt soviele Legionatoren, wie es normalerweise Soldaten gäbe.

Legionatoren, die nicht nur alle möglichen Arten der Kampfkunst beherrschten, sondern auch noch die Hilfe von ihren Legionen zu Hilfe nehmen konnten.

Legionen, mächtige Wesen aus reiner Seelenenergie.

Doch Seelenenergie, wie die Seelen selbst, beherbergen Licht und Schatten; meist in gleichem Maß.

 

Das einsame Herz voller Schatten.

Das naive Herz voller Licht.

Es ist unvorhersehbar, was passieren würde, sollten sich diese beiden Herzen vereinen.

 

Erhalten nun diese beiden Herzen die Macht von Legionen...

Es entstünde eine derart mächtige Seelenenergie, wie man sie noch nie gesehen hat.

 

Doch jede Seelenenergie besteht aus Licht und aus Schatten...

Und jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt vorwärts.

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SubKid

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Genesis - Fall

"Wow..."

Stella Hikari kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Er sah sich um und sah einen ganzen Haufen junger Leute, die denselben Gesichtsausdruck hatten.

Sie standen in der Eingangshalle der Thanatos, einer der besten Akademien für Nah- und Fernkampf, Magie, und den Kampf mit Legionen.

Um ihn herum standen sicher über dreißig junge Männer und Frauen, Stella schätzte ihr Alter zwischen 15 und 25, also lag er mit seinen 20 Jahren genau im Durchschnitt.

Er konnte nur hoffen, mit seinen Fähigkeiten auch mindestens im Durchschnitt zu liegen; die Ausbildung galt als extrem anspruchsvoll.

Stella hatte gehört, dass die Ausfallrate im ersten Jahr bei über fünfzig Prozent lag.

Dass die Rate in den zwei Ausbildungsjahren danach verschwindend gering war, beruhigte Stella nicht unbedingt.

Niemand wagte etwas zu sagen, zu nervös waren sie alle.

Deshalb erschreckte sich Stella, als plötzlich aufgeregtes, immer lauter werdendes Gemurmel aufschwallte.

Schnell sah er sich um, um den Grund des plötzlichen Stimmungsumschwunges zu entdecken;

und er fand einen Mann, der eben die Halle betreten hatte.

Er war sicher keine vierzig, seine kurzen Haare waren, ungefärbt, noch tiefschwarz, doch er hatte eine autoritäre Aura um sich, die Stella beinahe dazu nötigte, sich zu verbeugen.

Er trat gemütlichen Schrittes auf das kleine Podest, das vor der Gruppe aufgebaut war, und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

“Schönen guten Morgen;

Mein Name ist Jerome Zin Emurille, ich bin der Direktor dieser Einrichtung.

Ich darf euch herzlich an meiner Akademie begrüßen.

Hier werdet ihr mehr lernen als je zuvor; und ich rede nicht nur von Wissen aus Büchern.

Nahkampf mit und ohne Waffen, Fernkampf, Anwendung von Magie, und jene unter euch, welche das Potenzial haben, sogar den Kampf mit Legionen.

Natürlich stellen wir an jeden von euch hohe Ansprüche;

nicht jeder ist geeignet, unsere Ausbildung genießen zu dürfen.

Euer kommendes, erstes Ausbildungsjahr, ist genau dafür da;

herauszufinden, wer von euch hier richtig ist, und wer nicht.

Also gebt besser euer Bestes; alles was ihr habt, und noch mehr.”

Jerome machte eine kurze Pause, um die Gesichter seiner neuen Schüler zu mustern.

Dann streckte er die Hand gerade nach vorn; und teilte damit die Schüler in zwei Gruppen.

“Also gut. Jene auf dieser Seite...”, Jerome wandte die Hand kurz auf die eine Seite.

“...gehen in Raum 1-A, im Osten, 1.Stock. Ein Ausbilder wartet dort auf euch. Die anderen gehen in Raum 1-B, gleich daneben. Ihr könnt gehen.”

Damit verließ Jerome das Podest und schritt im selben gemächlichen Tempo wieder zurück in den Gang im Westen, aus dem er vorhin gekommen war.

Gebannt hatten sie alle ihrem neuen Direktor gelauscht, und nun standen sie eine Weile perplex und unsicher da.

Stella war keine Ausnahme.

Doch schließlich fingen sich die ersten wieder.

“Hey... wo ist Osten?”

Stella hätte fast angefangen zu lachen.

Es war keine dumme Frage, woher sollten sie wissen, wo Osten war?

Aber wie sie da stand, das zierliche Mädchen mit dem hübschen Spitzenkleid und den langen, feinen Haaren, beides tiefschwarz, inmitten einer Kampfakademie, und nach der Himmelsrichtung fragte;

Stella grinste.

“Wieso grinst du?”, fragte sie naiv.

“Ach nichts... hübsches Kleid.”, grinste Stella weiter.

“Danke! Hab ich von einer Freundin bekommen! Sie ist Schneiderin!”

Die junge Frau sah Stella mit großen Kulleraugen an, in denen er sah, dass eine Menge Emotion hinter diesem Kleid stehen musste.

Dann sah er durch die Glasfassade nach draußen.

“Was siehst du da?”, fragte das Mädchen weiter.

“Die Sonne.”, antwortete Stella wahrheitsgemäß.

“?”

“Er versucht sich zu erinnern wie das mit den Himmelsrichtungen und der Sonne war.”, kam plötzlich die Stimme hinter Stella.

Die beiden drehten sich zu dem Ankömmling um.

“Hi. Noel. Und ihr seid?”, stellte sich der brünette grinsend vor.

“Ich heiße Lucy!”, erwiderte das Mädchen freundlich lächelnd.

“Stella. Woher weißt du, was ich gedacht habe?”, wollte der weißhaarige wissen.

“Bitte. Du starrst die Sonne an und legst deine hübsche kleine Stirn in Falten. Was soll sonst da drin vorgehen?”, erklärte Noel und klopfte Stella mit den Fingerknöcheln gegen die Stirn.

“Behandle mich nicht wie ein Kind...! Gut, also da wir das geklärt haben... weißt du, wo Osten ist?”

Noel deutete in die der von Jerome eingeschlagenen Richtung entgegengesetzte Seite der Eingangshalle.

“Dort.”

Stella war kurz irritiert.

“Wenn du das weißt, wieso gehst du dann nicht los?”, wollte Lucy wissen.

“Ich hab auf euch gewartet.”, Noels Grinsen wurde breiter.

Nachdem Stella und Lucy die Gesichtszüge entgleist waren, erklärte Noel weiter.

“Wäre doch langweilig, alleine hier herumzulaufen, oder?”

Ein ehrliches Lächeln zwang sich auf Stellas Lippen.

“Du hast Recht.”

Er hob den angewinkelten Arm vors Gesicht.

“Bis zum Abschluss?”

“Und noch weiter.”, stimmte Noel zu, ahmte die Geste nach und schlug seinen Arm gegen Stellas.

Lucy kicherte.

“Liebe auf den ersten Blick, was? Na los, gehen wir!”

“Okay!”

Zu dritt machten sie sich auf den Weg nach Osten.

 

Stella, Lucy und Noel fanden ihren zugeteilten Raum ohne Probleme.

“1-B, da wären wir.”, stellte Lucy fest und sie betraten den Raum;

es stellte sich heraus, dass der Raum eine Art Klasse war.

Eine Menge Zweiertische auf der einen Seite, ein Katheder auf der anderen, nahe der Tür; und auf dem Pult saß eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die Beine überschlagen und die Arme verschränkt; sie schien auf die Schüler zu warten.

Nachdem sich endlich alle eingefunden hatten, setzte sich die Frau aufrecht hin und ließ den Blick über ihre 'Opfer' wandern.

“Guten Morgen.

Ich bin Valerie Almasy, eure Ausbilderin für alles Theoretische.

Heute haben wir nur wenig Programm, um euch nicht gleich zu überfordern.

Als erstes das Organisatorische.”

Valerie zeigte auf die Schönheit mit den langen schwarzen Locken, die in der ersten Reihe saß.

"Du. Wie heißt du?"

"Rachel.", antwortete die junge Frau nach kurzem Zögern.

"Okay. Rachel, teil deinen Kollegen das aus."

Stella war etwas irritiert von der Art und Weise, wie die Ausbilderin sprach;

etwas harsch und kurz angebunden, das passte irgendwie nicht zu ihrer gepflegten und... sanften Erscheinung.

Rachel nahm den Stapel Zettel von Valerie entgegen und begann, sie auszuteilen.

“Auf diesen Papieren findet ihr eure Quartierbelegung mitsamt euren neuen Mitbewohnern.

Außerdem einen Lageplan, und einen Stundenplan.

Der Stundenplan gilt nur diese Woche; ihr werdet alles kennenlernen, was euch den Rest des Jahres erwartet."

Nachdem die Schüler die Zettel kurz überflogen hatten, hob sich eine Hand.

"Ja, du, wer bist du?"

"Ich heiße Eve."

Die Haare des Mädchens waren kurz und zerstrubbelt, sie war relativ zierlich aber wirkte trotzdem athletisch.

Stella war sie sofort sympathisch.

"Okay Eve, was ist?"

"Hier stehen nur Vornamen. Wieso?"

Valerie lächelte leicht, sie hatte genau diese Frage wohl erwartet.

"Von jetzt an lasst ihr eure Vergangenheit hinter euch.

Es ist uns egal, wer eure Familie ist. Was euch Gutes oder Schlechtes widerfahren ist, interessiert uns nicht.

Ihr alle habt bewiesen, dass ihr das Potenzial besitzt, das hier gebraucht wird.

Das ist das einzig wichtige.

Heute ist ein Neubeginn für jeden von euch.”

Die Ausbilderin gab den Auszubildenden kurz Zeit, ihre Informationen weiter zu überfliegen.

Stella hastete durch die Zeilen;

er hatte zwei Mitbewohner, Tara und Krad, sie hatten Quartier 307, das er auch gleich auf dem Lageplan suchte.

Bevor er weiter kam, unterbrach ihn Valerie.

“Außerdem werdet ihr jetzt ein paar Minuten verwenden, eure Kameraden kennenzulernen; oder eure neuen Mitbewohner. Sagen wir... zwanzig Minuten.

...ab jetzt.”

Sofort brach Unruhe aus, jeder fragte nach den Namen seiner Mitbewohner.

Alsbald hatten sich Stella, Krad und Tara gefunden.

Stella war überrascht;

beide sahen total gut aus und waren auch noch irrsinnig freundlich.

Krad war der typische mysteriöse, coole Typ, und Tara war der typische extrovertierte Schönling.

Stella musste grinsen.

Nie hätte er gedacht, dass er hier an der Thanatos, Elite der Kampfakademien, solche Stereotypen antreffen würde;

und sie auch noch auf Anhieb sehr gut leiden konnte.

Nach den Gesprächen begann Valerie mit ihrem Theorieunterricht; Legionsgeschichte.

Stella fand das sehr interessant, und nachdem er den Blick über die Gesichter seiner Kameraden schweifen lassen hatte, beschloss er, dass er mit dieser Meinung alles andere als allein war.

Ausgenommen von den beiden jungen Männern mit den schwarzen Haaren, der eine trug sie kurz, der andere mehr als schulterlang, aber ordentlich zusammengebunden.

Die zwei sahen gelangweilt aus. Besonders die eisblauen Augen des Jungen mit den längeren Haaren sahen richtig leer aus.

Stella spekulierte, dass sie wohl bereits Vorkenntnisse hatten, und wandte sich wieder ab.

 

Mittags erklärte Valerie den Vormittagsunterricht für beendet.

“Ich empfehle euch, gleich eure Quartiere anzusehen. Dort könnt ihr euch auch noch etwas mit euren Mitbewohnern unterhalten.”, Valerie grinste, “Nachmittags habt ihr Praktische Ausbildung. Unterricht beginnt nachmittags immer um halb zwei, seid pünktlich. Viel Erfolg.”

Damit verließ Valerie den Raum.

Einige von Stellas Kameraden taten es ihr gleich, während der weißhaarige noch kurz sitzenblieb.

Er sah auf, als ein Schatten auf ihn fiel.

Es war Tara, sein kontaktfreudiger Mitbewohner.

Im nächsten Moment stand auch Krad bei ihnen.

Tara grinste.

"Gehen wir unser Quartier ansehen?", fragte er.

Stella lächelte.

Dann sah er zu Noel, der neben ihm saß.

“Geh schon. Wir sehen uns später.”, meinte der brünette grinsend.

“Okay. Später dann.”

 

“Wow.”, kam es simultan von Stella, Krad und Tara, als sie ihr Quartier betraten.

Sie hatten ohne Probleme hergefunden, die Beschreibungen auf dem Lageplan waren sehr leicht verständlich.

Das Quartier war der Wahnsinn, ziemlich geräumig für eine kostenlose Unterkunft, die Möbel waren schlicht aber trotzdem irgendwie schick; es gab sogar eine Kochecke.

Tara ließ sich auf das breite Sofa fallen.

“Das ist echt cool.”, meinte er.

Krad setzte sich an den Massivholz-Küchentisch, bei dem vier Stühle, die aussahen wie Designerstücke, standen.

“Alles Fachliteratur.”, identifizierte er kurz angebunden den Stapel Lesestoff, der darauf lag.

Während er und Tara sich weiter umsahen und jedes Detail gleich aussprachen, sah Stella sich die Kochecke an;

“Hey! Der Kühlschrank ist sogar voll!”, freute er sich.

“Kannst du denn kochen?”, wollte Tara sofort wissen.

“Naja... ein paar Sachen kann ich wohl.”

“Yay, da haben wir schon unseren Zimmerservice.”, stellte der brünette fest.

“Was? Wieso bin ich denn jetzt gleich der Koch?”

Es gefiel Stella nicht, dass er sofort zur Arbeit verdonnert worden war.

“Keine Panik. Wir sollten alles, was zu tun ist, aufteilen,”, versuchte Tara, den weißhaarigen zu besänftigen.

“Stella ist also für die Versorgung zuständig.

Tara hat dann den Hausputz übrig.”, legte Krad fest.

“Was?!”, regte sich Tara sofort auf.

“Und welche schwierige Aufgabe bleibt für dich?”, fragte Stella neugierig.

“Ich bin Deko.”

Stella und Tara schwiegen und starrten Krad an, und der weißhaarige zog unwillkürlich eine feine Augenbraue hoch.

“Nur ein Scherz. Was bleibt denn noch?”, lenkte Krad gleich ein, bevor sie sich noch stritten.

“Hm...”

Auch den anderen beiden fiel auf die Schnelle nichts ein.

“Okay, dann helfe ich Tara beim Putzen, bis uns etwas einfällt.”

“Abgemacht!”, freute sich Tara, nicht alles alleine machen zu müssen.

“...okay.”

Stella war nicht ganz so begeistert, aber er war irgendwie erleichtert.

Das schien gut zu funktionieren.

Er hatte das Gefühl, sie würden gut zusammenarbeiten.

Wortlos kehrte Stella zur Kochecke zurück und räumte ein paar Sachen aus dem Kühlschrank, bevor er anfing herumzuhantieren.

“Was tust du?”, fragte schließlich Krad, nachdem er und Tara dem weißhaarigen eine Weile zugesehen hatten.

“Ich erfülle meine Aufgabe. Wir haben noch viel Zeit, bis wir zur Praxis antreten sollen. Also koch ich uns was.”

Stella sagte das wie nebenbei, als ob es das Natürlichste der Welt wäre.

Seine Mitbewohner lächelten nur.

 

“Schönen Nachmittag.

Mein Name ist Gray Freed. Ihr dürft mich ruhig duzen.

Ich werde euch im Nahkampf mit und ohne Waffen sowie im Fernkampf ausbilden.

Schön, dass ihr alle pünktlich seid.”

Der große, muskulöse junge Mann war kaum älter als seine Schüler; vielleicht dreißig.

Stella bekam von seiner ganzen Ausstrahlung das Gefühl, dass dieser Mann trotz seines jungen Alters schon einige schwere Kämpfe hatte austragen müssen.

Trotzdem wirkte er freundlich.

“Als erstes werden wir uns aufwärmen, also laufen wir ein paar Runden durch die Halle. Mir nach.”

Gray begann zu laufen, und zögerlich folgten ihm seine Schüler.

Die Zögerlichkeit hielt nicht lange an, vor allem deswegen, weil Gray ein derartiges Tempo vorlegte, dass sie alles geben mussten, um mithalten zu können.

Sehr schnell, etwa nach vier Runden durch die Halle, die weitaus größer war als sie zuerst aussah, gaben die ersten auf und traten zur Seite, um die anderen nicht zu stören.

Stella stellte fest, dass Lucy darunter war.

Runde um Runde trieb sie Gray, und jede Runde gaben wieder welche auf.

Stella war zwar im besseren Mittelfeld, wie er feststellte, doch einige Runden später stieß auch er an seine Grenzen und musste in der siebzehnten Runde stehen bleiben.

Noel stand nur wenige Schritte vor ihm.

Die beiden gingen zur Wand, wo sie sich dagegenlehnten und wieder zu Atem kamen.

“Schwächeln wir oder sind die so gut?”, murrte Noel mit Blick auf die verbliebenen paar Kameraden.

Stella sah, dass der Schwarzhaarige mit den eisblauen Augen, der schon im Theorieunterricht so gelangweilt ausgesehen hatte, noch dabei war.

“Ich tippe auf letzteres.”, erwiderte Stella, trotz seiner Aussage klang er kleinlaut.

Es dauerte frustrierend lange, bis auch die restlichen aufgegeben hatten, und als nur noch der Blauäugige Gray folgte, blieb der Ausbilder schließlich stehen, federte kurz auf den Fußballen, um die Gelenke auszulockern und kam dann zu den Schülern, die sich inzwischen zu einer Gruppe anstelle der vielen kleinen Grüppchen formiert hatten und am Rand der Halle warteten.

“Schön. Zu dieser Übung zwei Dinge;

Erstens; wir werden zukünftig vor jeder Praxis diese Laufübung machen.

Einer der Gründe dafür ist vor allem, dass ihr euren Fortschritt verfolgen könnt.

Wer weiß, wieviele Runden er jetzt gelaufen ist?”

Alle Hände erhoben sich.

“Seht ihr?

Und nächstes Mal werdet ihr wieder wissen, wieviele ihr laufen konntet.

Mit der Zeit wird eure Kondition sich verbessern und ihr schafft mehr und mehr Runden.

Zweitens, wieviele ihr schafft, ist eure Angelegenheit.

Ich werde euch nicht beurteilen.

Für mich ist die Leistung selber nicht ausschlaggebend, sondern die Mühe, die ihr euch gebt; vorerst zumindest.

Verstanden?

Ihr seid hier, um zu trainieren.

Niemand erwartet von euch, dass ihr auf Anhieb alles könnt.”

Stella sah Gray erstaunt an.

Er war ja ziemlich deprimiert gewesen, als er aufgeben hatte müssen, weil er dachte, dass er dann schwach aussehen würde.

Aber jetzt...

Jetzt konnte er an nichts anderes denken, als daran, dass er sich anstrengen würde, um jedes mal ein wenig länger durchhalten zu können.

Gray Freed war ein interessanter Ausbilder.

Es folgten ein paar Nahkampfübungen, und eine Weile später rief Gray die Schüler wieder zu sich,.

“Schön. Jetzt versuchen wir einmal echte Kämpfe.

Ich möchte mir ansehen, was ihr draufhabt, also gebt alles.

Jeder schnappt sich denjenigen, der ihm am nächsten steht.”

Stella sah sich um und entdeckte einen grimmig dreinblickenden, ebenfalls weißhaarigen jungen Mann.

“Hi.”, versuchte Stella vorsichtig.

“Chrome.”

“Hi Chrome, ich bin Stella.”

“Schön für dich. Also bist du mein Opfer?”

“...Opfer?”

Stella spürte eine eigenartige Feindseligkeit von Chrome ausgehen.

Was er nicht verstand, immerhin kannten sie sich noch gar nicht.

Gray unterbrach den freundlichen Plausch der beiden.

“Also, ihr kämpft jetzt nacheinander, damit ich euch meine volle Aufmerksamkeit schenken kann.

...ihr zwei, wie heißt ihr?”

“Eve”, stellte sich das blonde Mädchen, an das sich Stella bereits vom Vormittag erinnerte, vor.

“Hervey”, nannte auch der Junge neben ihr seinen Namen.

Er sah... wild aus. Unverwüstlich. Als ob ihm nichts etwas ausmachen könnte.

Seine kurzen brünetten Haare standen in alle Seiten ab und er trug ein Halstuch wie ein Pirat oder sowas.

Stella hatte fast schon Mitleid mit Eve.

Wie sollte das Mädchen gewinnen können?

“Ihr seid die ersten. Fangt an, wann immer ihr bereit seid.”

So sehr Stella zweifelte, dass Eve auch nur den Hauch einer Chance hatte, desto mehr war er überrascht, als der Kampf losging;

Eve war beeindruckend.

Hervey hatte eindeutig mehr Kraft, aber Eve war schnell, sie vollführte ein Manöver nach dem anderen, womit sie nicht nur Herveys Angriffen auswich, sondern auch noch selbst in die Offensive ging.

Alsbald erklärte Gray den Kampf für beendet.

Er sagte kein Wort davon, wen er zum Sieger erklärte, sondern rief nur die nächsten auf.

Sie hießen Tyra und Kai.

Tyra war eine athletische Schönheit mit langen, schwarzen Haaren, und Kai sah witzig aus mit seinen zweifarbigen Haaren, oben silber und unten schwarz.

Der Kampf dauerte nicht lange; Tyra war beeindruckend schnell und stark, und obwohl Kai auch gut war, konnte er mit ihr nicht mithalten.

Stella beschloss, dass er definitiv mit ihr Kontakt aufnehmen sollte, um mit ihr zu trainieren.

Den nächsten Kampf führte ein cooler Typ mit schwarzem Haar, Jared.

Sein Gegner war ein lässig angezogener silberhaariger Junge mit einem Bandanna unter einem Cap; er hieß Fynn.

Stella hatte schon gute Kämpfer gesehen, alleine an diesem Tag, aber was er von Jared sah, war noch einmal eine Stufe besser.

Der silberhaarige Fynn gab sich offensichtlich alle Mühe, doch er hatte einfach keine Chance.

Sehr schnell war der Kampf zu Ende.

Damit stand auch Jared sofort auf Stellas Liste.

Der nächste Kampf war zwischen zwei jungen Frauen.

Die eine war Rachel aus der ersten Reihe im Theorieunterricht.

Die andere, Shaiya, war die mysteriöse Type, sehr zierlich und mit langen, weißblonden Haaren.

Ihr Talent im Nahkampf war nicht mit den vorigen zu vergleichen; sie waren wohl eher die magischen oder theoretischen Talente. Für Stella sah es nach einem Unentschieden aus.

Dann wurde Stella aufgerufen.

Sein Herz machte einen Sprung.

Würden die anderen jetzt über ihn urteilen, so wie er zuvor?

Sofort fühlte er sich schuldig deswegen.

Er und Chrome stellten sich gegenüber.

Chrome ging sofort auf den weißhaarigen los.

Die ersten paar Schläge konnte Stella abwehren, obwohl er überrascht davon war, dass Chrome sofort anfing;

schließlich entdeckte er eine Öffnung in Chromes Haltung und konterte.

Der Schlag erwischte Chrome direkt am Kiefer, woraufhin er sich entgeistert das Kinn hielt und Blut auf seiner Hand entdeckte.

Das schien ihn derartig aufzuregen, dass er nun wie ein Berserker angriff.

Er war plötzlich schneller geworden, und Stella schaffte es irgendwann nicht mehr, zu blocken oder auszuweichen.

Chrome erwischte ihn mit einem Aufwärtshaken, der Stella in die Luft beförderte, holte dann mit dem rechten Bein aus und traf ihn wieder, der drehte sich einmal um die eigene Achse, während Chrome das Bein zurückzog und seinen Gegner mit der Ferse noch einmal traf. Stella flog zurück Richung Boden, doch bevor er ihn berührte, traf ihn Chrome mit einem weiteren Tritt.

Stella flog davon wie ein kleiner Stein, den jemand warf, und landete in seinen Kameraden, die um das Kampfareal herum standen.

Als Stella wieder wusste, wie ihm geschah, hielt ihn jemand fest.

Er sah nach, wer seinen Sturz verhindert hatte, und sah den Jungen mit den eisblauen Augen, die jetzt einen eigenartigen Ausdruck hatten. Gar nicht so kalt und leer wie vorher.

Im nächsten Moment hatte der Junge ihn wieder losgelassen und einen halben Schritt von ihm weg gemacht.

“...danke.”, brachte Stella leise heraus.

Sofort standen Lucy, Krad, Noel und Tara bei ihm.

“Hey!”

“Alles okay?!”

“Du bist richtig geflogen!”

“Bist du schwer verletzt?”

Stella versuchte, sie mit einer abwehrenden Handbewegung zu beruhigen.

“Es geht... schon.”, brachte er hervor, klang aber nicht sehr überzeugend.

Eigentlich war das auch gelogen, ihm tat alles weh.

Die Treffer von Chrome hatten gesessen, jeder einzelne.

Als er seine Aufmerksamkeit wieder seinem aggressiven weißhaarigen Gegner zuwandte, hörte er den Schluss von Grays Strafpredigt, die er Chrome bis eben gehalten hatte.

“...aufpassen, deinen Kameraden keinen ernsthaften Schaden zuzufügen!”

Gray klang als ob er mit einem kleinen Kind sprach, das mit Streichhölzern gespielt hatte.

Chrome sah noch stinkiger aus als vorher, schwieg aber und verließ das Kampfareal.

Er stellte sich zu einem Jungen, der ihm verdammt ähnlich sah; sie redeten kurz, dann starrten sie beide mit bösem Blick Stella an.

Gray atmete tief durch, es sah aus wie ein Seufzer, und kam dann zu Stella.

“Bist du soweit in Ordung?”

“Es geht schon.”, erwiderte Stella, diesmal überzeugender.

Gray wandte sich jetzt an alle.

“Falls ihr verletzt werden solltet oder es euch aus einem anderen Grund nicht besonders gut gehen sollte, könnt ihr jederzeit zu unserer Ärztin Aki Cress gehen. Ihre Dienste sind für euch kostenlos.”

Dann sah er Stella an und musterte seine Verletzungen.

“Du kannst dich ruhig eine Weile da hinüber setzen.”

“Es geht schon, wirklich. Und ich möchte die anderen Kämpfe nicht verpassen.”, entgegnete Stella.

Gray musterte jetzt Stellas entschlossenen Blick, bis er resignierend seufzte.

“In Ordnung.”

Dann rief er die nächsten Kämpfer auf;

jetzt war Noel dran.

Das gefiel dem Brünetten offensichtlich nicht sehr, weil er sich jetzt wohl lieber um Stella gekümmert hätte.

Sein Gegner war ein Mädchen mit Kapuzenshirt, das ihre dunklen, stufigen Haare verdeckte; Luca.

“Gegen ein Mädchen? Ist das fair?”, fragte Noel vorsichtig, er wollte Luca ja nicht kränken.

“Wir machen hier keinen Unterschied.”, entgegnete Gray bloß.

Noel zuckte die Schultern. Na schön. Wenn sie es so haben wollten...

Er versuchte zuerst, sich zurückzuhalten, doch Luca machte ihm doch mehr Probleme als er dachte;

alsbald kämpfte er mit voller Kraft.

Luca war verdammt schnell, aber ihr fehlte die Kraft, Noel ernsthaft in Bedrängnis zu bringen.

Noel hatte zwar die Kraft, die ihr fehlte, doch er konnte kaum einen Treffer landen, weil Luca so gut wie allem auswich.

Schließlich beendete Gray den Kampf.

Noel und Luca traten zur Seite.

“Nicht schlecht für ein Mädchen, was?”, fragte Luca sarkastisch.

“Entschuldige.”, meinte Noel kleinlaut, aber ehrlich.

“Schon gut. Wir könnten doch mal wieder gegeneinander kämpfen; trainieren und so. Was hältst du davon?”

“Klar, gerne.”

Im nächsten Kampf war Lucy dran.

Ihre Gegnerin war ein weißhaariges Mädchen, das ein bisschen irre dreinschaute; Lara.

Sie war objektiv gesehen sehr hübsch, aber der Anflug von Wahnsinn in ihren Augen machte sie Stella unsympathisch.

Der Kampf war extrem kurz;

Kaum gab Gray das Zeichen, stand Lara plötzlich neben Lucy und brachte sie mit einem kräftigen Schlag in den Bauch zu Fall.

Danach verschränkte sie die Arme und sah Gray an, der, selber etwas verwirrt, den Kampf für beendet erklärte.

Stella lief zu Lucy und hockte sich hin, obwohl ihm selber alles wehtat.

“Lucy?”

“Argh...”

Das Mädchen hielt sich den Bauch.

“Sie hat dich ganz schön erwischt, was? Na komm, ich helfe dir.”

Stella hielt Lucy die Hand hin.

Das Mädchen ergriff sie dankbar.

Stella half ihr auf und stützte sie, bis sie das Kampfareal verlassen hatten.

“Komm, setz dich hin. ...ist doch in Ordnung, Gray, oder?”

Gray musterte Lucy. “Sicher.”

Dann rief er die nächsten auf; Shion und Kaleo.

Als sich die beiden gegenüber aufstellten, erstarrte Stella.

Shion war der Typ mit den eisblauen Augen, der ihn vorhin aufgefangen hatte;

und sein Gegner, Kaleo, war Chromes Kumpel, der ihn so böse angesehen hatte.

Stella bemerkte, dass Shions Augen wieder so kalt waren wie zuvor;

nein, jetzt lag sogar noch etwas anderes in ihnen;

etwas... Böses.

Gray eröffnete den Kampf, und dann ging alles so schnell, dass Stella sich nicht sicher war, ob das alles wirklich so passierte, wie er es wahrnahm.

Shion stand plötzlich vor Kaleo, dann wurde Kaleo von seinem Aufwärtshaken in die Luft geworfen, und nach drei Tritten von Shion flog Kaleo davon und schlug dann hart auf dem Boden auf.

Sekunden später realisierte Stella, dass die Angriffe dieselben waren wie die von Chrome auf ihn selbst; nur irgendwie... kräftiger.

Kaleo war sicher nicht schwach; und doch lag er nun am Boden und stöhnte vor Schmerz.

Stella fixierte Shion entgeistert; Er war so verdammt schnell, und stark genug, um einen kräftigen Jungen wie Kaleo in die Luft und zu Boden zu schleudern; ohne ersichtliche Anstrengung.

Soeben hatte Stella sein größtes Vorbild gefunden; und wahrscheinlich seinen größten Rivalen.

Nachdem er von Gray denselben Vortrag bekommen hatte wie Chrome, von wegen mehr Vorsicht und seine Kameraden nicht verletzen und so weiter, ging Shion ein Stück zur Seite und verschränkte die Arme.

Er schien... zufrieden.

Auch wenn Stella das nicht nachvollziehen konnte.

Die nächsten Kämpfe nahm Stella nur am Rande wahr;

er kümmerte sich um Lucy, während Krad und Noel neben ihm standen und ihn dabei beobachteten.

Die beiden wollten wohl auf ihn aufpassen, weil er ja selbst verletzt war.

Schließlich legte Noel dem weißhaarigen eine Hand auf die Schulter.

“Das willst du sehen.”, meinte er.

Stella richtete seine Aufmerksamkeit jetzt wieder den Kämpen zu;

Es war Taras Kampf. Er kämpfte gegen Kira; das war der Junge, der in ihrer Klasse neben Shion saß.

Irgendwie ging Stella automatisch davon aus, dass Kira ebenso stark war wie Shion, doch mit jedem Schlag wurde ihm mehr klar, dass diese Annahme falsch war. Zuerst konnte sich keiner einen Vorteil verschaffen, bis dann Tara langsam aber sicher die Oberhand gewann.

Schließlich beendete Gray den Kampf.

“Gut, wir sind durch.

...ihr geht ja ganz schön ab. So viel Verletzte hatte ich schon lange nicht mehr nach einem ersten Sparring...

Wir machen für heute Schluss. Erholt euch gut und denkt darüber nach, was ihr heute gelernt habt.

Und vergesst nicht, dass ihr zu Doktor Cress gehen könnt, falls es euch nicht gut geht.

Morgen um 9 Uhr ist wieder Unterrichtsbeginn, oben in eurer Klasse.”, verkündete Gray und verließ die Halle.

Stella hielt Lucy die Hand hin.

"Na komm."

Die schwarzhaarige nahm seine Hand dankbar an und stand auf.

Noel, Tara und Krad standen alsbald bei den beiden.

"Es wird schon dunkel. Die Zeit ist ja schnell vergangen.", stellte Tara fest.

"Wir haben doch jetzt nichts mehr zu tun, oder?", wollte Noel bestätigt haben.

"Nein, wieso?", entgegnete Lucy.

"Na, Party!", meinte der brünette, als ob es das selbstverständlichste auf der Welt wäre.

"Party? Wo?", fragte Krad nach.

"Ja~, die Location müssen wir erst festlegen. Ich kenn mich hier total nicht aus.", grinste Noel.

"War ja klar.", scherzte Stella und erntete dafür eine leichte Kopfnuss.

"Wie wär's in unserem Quartier?", schlug Tara vor.

"Es ist aufgeräumt, warm, es gibt keine Sperrstunde und es sind keine fremden Besoffenen da, die Ärger machen.", erläuterte Noel, der sofort einverstanden war.

"Hm, dann brauchen wir aber was zu trinken.", erwiderte Lucy, die sich schon wieder ganz gut zu fühlen schien.

"Ich hab was im Kühlschrank gesehen.", meinte Stella.

"Yeah, und schon kann die Party losgehen!", freute sich Noel.

In dem Moment schien er etwas beim Eingang der Halle zu sehen.

"Ah. Ich hole noch jemanden. Bis gleich!"

Und schon war er weg.

"Wollt ihr noch mehr Leute dazuholen...?", fragte Krad, es war sarkastisch gemeint, doch es wurde komplett falsch aufgefasst.

"Noch mehr... Leute?", wunderte sich Lucy.

Stella wurde plötzlich bewusst, dass er jemanden dabei haben wollte.

"Ich gehe noch Partygäste auftreiben.", erklärte er.

"Ich gehe mit!", beschloss Lucy sofort.

"Wir treffen uns dann oben?", fragte Stella sicherheitshalber Tara.

"Klar. Ich geh schon vor und fange an, vorzubereiten.", erklärte Tara und nickte.

"Wie ein braver Putzteufel.", neckte Stella seinen Mitbewohner, bevor er Lucy mit einem Kopfnicken deutete und die beiden aufbrachen.

Als erstes suchte Stella Tyra.

Sie hatte ihn neugierig gemacht; ihr sah man das Talent nicht an.

Als er ihr von der Party erzählte, lächelte sie und schloss sich ihnen sofort an.

Stella kam auch Shion in den Sinn, verwarf aber unwillkürlich den Gedanken, ihn einzuladen.

Dann suchten sie Eve, das zierlich wirkende blonde Mädchen, das Stella auch gleich sympathisch gewesen war.

Sie war auch ohne zu zögern dabei.

Er suchte auch Jared; er hatte Stellas Interesse geweckt.

Er und sein Gegner und Mitbewohner Fynn musterten kurz die Ladies, bevor sie grinsend zusagten.

"Okay, bevor es dann doch zu viele Leute werden, gehen wir lieber hinauf.", meinte Stella lächelnd und Lucy nickte.

Sie hing an ihm dran wie eine Klette.

Stella fand das niedlich. Wie eine kleine Schwester.

 

Als sie im Quartier ankamen, war dort nur Tara.

"Ah, noch niemand da?", wunderte sich Stella.

Er hatte das Gefühl gehabt, dass sie lange gebraucht hätten.

"Du bist ja der totale Aufreißer, gleich drei heiße Häschen im Schlepptau!", neckte Tara, trotz der Neckerei ehrlich überrascht. Stella schüttelte bloß den Kopf, ohne den Kommentar mit einer Erwiderung zu würdigen.

"Hi, Tara, oder? Nett, dich kennenzulernen. Ich bin Tyra.", grüßte die schwarzhaarige, was von Tara mit einem freundlichen Lächeln quittiert wurde. Auch Eve stellte sich kurz vor und auch sie bekam gerademal ein Lächeln.

Stella wunderte das, sagte aber nichts dazu.

Jared und Fynn stellten sich auch vor und bekamen sogar ein Händeschütteln vom brünetten.

Tara hatte bereits eine ganze Menger Becher, Gläser und Strohhalme auf dem Tisch ausgebreitet und alle Flaschen Alkohol, die er gefunden hatte, dazu.

Tara, Fynn, Tyra und Jared setzten sich auf die Couch, während Stella, Eve und Lucy den großen Tisch wählten.

"Wo ist Krad?", wollte Stella irritiert wissen.

"Sagte etwas davon, dass ihm das zuviel Trubel wäre; er ist noch nicht wieder zurückgekommen.", erklärte Tara.

"Wird sich wohl verkrochen haben. Er taucht schon wieder auf.", grinste Fynn.

Sie begannen, über Gott und die Welt zu reden.

Tara kam mit den Ladies sofort gut klar, was Stella nicht wunderte. Er hatte ihn genau so eingeschätzt.

Aber auch die Mädchen schienen sich sympathisch zu sein, obwohl sie alle drei so unterschiedlich waren.

Am besten schien sich Tara aber mit Fynn zu verstehen, während Stella von Lucy belagert wurde, als er sich mit Jared warm machte.

Kurz darauf kam Noel mit seiner Gegnerin, Luca.

Sie waren wundersamerweise alle auf derselben Wellenlänge und hatten riesigen Spaß.

Das Quartier war zwar geräumig, aber es war trotzdem nur für drei Leute ausgelegt;

alsbald wurde der Platz knapp.

Sie rückten alle zusammen, und trotzdem saß Tyra letztendlich auf Jareds Schoß.

Stella wusste im selben Moment, wie diese Nacht für die beiden enden würde.

 

Mittwoch

 

Stella wachte auf, weil ihm die Sonne ins Gesicht schien.

Er blinzelte ein paar Mal, bevor er sich aufrichtete und sich mit der Hand übers Gesicht fuhr.

Dann sah er sich um und wusste erst mal nicht, wo er war.

Dann erinnerte er sich an den vergangenen Tag.

Er lag auf der Couch, er hatte es am Vortag nicht mehr in sein Schlafzimmer geschafft, weil er schon so müde gewesen war.

Der weißhaarige hatte kaum etwas getrunken, er wollte keinen Kater bekommen.

Er stand auf und ging zur Kochecke, um Kaffee zu kochen. Sie hatten sogar eine Kaffee-auf-Knopfdruck-Maschine.

Das Geräusch der Kaffeemaschine lockte auch die anderen an;

als erstes kam Tara aus seinem Schlafzimmer geschlurft; er brachte nicht einmal ein anständiges Guten Morgen heraus sondern nur ein Grummeln, das mit viel Fantasie als Morgen interpretiert werden konnte.

Stella grinste und reichte ihm die erste Tasse, die fertig geworden war.

Dankbar nahm sein Mitbewohner sie entgegen und setzte sich an den Tisch.

Gerade, als die zweite Tasse fertig war, kamen Eve und Lucy aus Stellas Schlafzimmer.

Der weißhaarige war vor ihnen weggepennt, er hatte nicht mitbekommen, dass sie sich sein Bett ausgeliehen hatten.

Beide waren noch schlaftrunken, also gab Stella Lucy den Kaffee.

Auch die dritte Tasse trank er nicht selber, sondern gab sie Eve.

Die vierte hatte er schon in der Hand, als Fynn aus Taras Schlafzimmer kam; Stella schielte sofort zu Tara, verwarf aber dann den Gedanken.

Seufzend gab er auch den nächsten Kaffee weiter.

Schon langsam ungeduldig, drückte er wieder die Taste, und diesmal konnte er die Tasse sogar behalten.

Er setzte sich zu Tara, Lucy und Fynn an den Tisch (Eve hatte der Couch den Vorzug gegeben.) und gähnte herzhaft.

"Wie spät ist es...?", wollte Eve schließlich wissen.

Stella sah sich um, auf der Suche nach einer Uhr.

Über der Eingangstür wurde er fündig.

"Kurz nach acht.", erklärte er.

"Um neun ist Unterrichtsbeginn, richtig? Dann mach ich mich besser mal auf den Weg.", meinte Fynn, leerte seine Tasse mit einem Schluck und hob nur kurz die Hand zur Verabschiedung, bevor er dann auch schon weg war.

"Ich auch. Hat Spaß gemacht, müssen wir bald wieder machen."

Damit war auch Eves Tasse leer und sie verschwunden.

Lucy blieb seelenruhig sitzen.

"Du bleibst noch?", fragte Tara die schwarzhaarige.

"Ja, wenn ich darf?"

"Klar.", antwortete Stella und lächelte.

"Wie geht es dir eigentlich?", fragte Tara seinen Mitbewohner und musterte ihn.

Stella streckte sich.

"Ganz gut soweit, es zieht nur ein bisschen. Aber es werden sicher ganz schön große blaue Flecken."

"Dieser Typ... Chrome, nicht? Er ist... unheimlich.", sagte Lucy leise.

"Nicht unheimlich, sondern komisch. Er hat mich ganz feindselig angemault, nur weil ich mich vorgestellt habe. Und nach dem Kampf haben er und sein Kumpel mich ganz böse angestiert.", maulte Stella und nahm einen großen Schluck Kaffee.

"Sein Kumpel war dieser Kaleo, oder? Der hat ja ganz schön auf den Deckel bekommen. Sogar mehr als du.", meinte Tara grinsend.

"Von wem?", wollte Lucy wissen, da sie diesen Kampf ja nicht wirklich mitbekommen hatte.

"Von Shion. Der ist richtig, richtig gut.", antwortete Stella.

"Shion, genau, so hieß er. Der gibt sich so~ cool. Als ob er der beste wäre.", meckerte Tara.

"Soweit ich das beurteilen kann, ist er der beste. In Theorie hat er ganz gelangweilt ausgesehen, und seinen Kampf, wenn man das überhaupt so nennen kann, hast du doch selbst gesehen.", entgegnete Stella kopfschüttelnd.

"Wieso verteidigst du ihn?", wollte sein Mitbewohner sofort leicht angesäuert wissen.

"Weil er eben gut ist. Aber warte nur ab. Irgendwann schlage ich ihn.", meinte Stella, der plötzlich ein eigenartiges Glänzen in den Augen hatte.

"Dann hast du also deine Erz-Nemesis gefunden. Dann streng dich mal an.", witzelte Tara, der keine Ahnung hatte, wie richtig er damit lag.

"Wieso willst du ihn unbedingt schlagen? Wo er doch so gut ist.", wollte Lucy wissen und legte den Kopf schief.

Sie schien es wirklich nicht zu verstehen.

"Na, weil er so gut ist. Man muss doch immer danach streben, so jemanden zu besiegen, nicht?", grinste Stella.

Der Kommentar machte Lucy nachdenklich.

Kurz herrschte Stille, bis die Tür zu Krads Schlafzimmer sich öffnete.

Taras und Stellas Blicke richteten sich sofort darauf.

Tyra, die in einem viel zu großen T-Shirt herausschlich, es war auf keinen Fall ihr eigenes, schien sich auf frischer Tat ertappt zu fühlen.

"Ähm... Morgen.", sagte sie dann peinlich berührt.

"Guten Morgen.", trällerten ihr die beiden jungen Männer entgegen. Es schien sie zu amüsieren, dass Tyra sich schämte.

"...Badezimmer?", fragte sie leise und zog das T-Shirt weiter nach unten;

sie hatte schließlich nichts anderes an.

Stella deutete auf die Tür ins Bad.

Mit schnellen, kleinen Schritten trippelte die schwarzhaarige hinein.

Tara kicherte.

"Das war von Jared wohl nicht anders zu erwarten.", meinte Stella, breit grinsend.

"Huh?"

"Na, hast du ihn nicht so eingeschätzt?"

Tara schwieg, grinste aber zustimmend.

Kurze Zeit später kam auch Jared aus Krads Schlafzimmer.

"Guten Morgen."

Er war der einzige, der schon richtig wach zu sein schien.

"Morgen."

Jared musterte die ganz breit grinsenden Gesichter seiner Mitbewohner, bevor er die Schultern zuckte und sich auch an den Tisch setzte. "Es gibt Kaffee?", wollte der schwarzhaarige wissen, als er die vielen Tassen sah.

Stella stand auf.

"Yup.", antwortete er bloß und machte zwei Tassen Kaffee.

Gerade, als er sie auf den Tisch stellte, huschte Tyra vom Bad wieder zurück ins Schlafzimmer.

Alle bemühten sich, nicht hinzusehen und es einfach zu ignorieren.

Nur Jared grinste auf einmal breit und zufrieden.

Stella schob eine der Tassen zu Jared und die zweite zu einem freien Stuhl.

"Für Tyra, wenn sie sich das nächste Mal heraustraut.", erklärte er, als Tara ihn fragend ansah.

Eine Weile herrschte Stille.

"Ihr habt doch nicht...?", fragte Tara schließlich Jared.

"Ein Freund fragt nicht und ein Gentleman schweigt.", erwiderte Jared.

"Habt ihr?", fragte Tara sofort noch einmal.

"Dreimal.", gab Jared ohne Zögern zurück.

"Ihr Kinder...", neckte Stella und nahm einen weiteren Schluck, der die Tasse leerte.

"Also, Jared... Wieso genau wart ihr in Krads Schlafzimmer?"

"Er war nach Mitternacht immer noch nicht wieder hier, also...", Jared zuckte die Schultern, "Haben wir uns sein Zimmer ausgeliehen."

Stella nickte, nahm die leeren Tassen und stellte sie zur Spüle.

"Ich geh duschen.", erklärte er knapp und war auch schon im Bad verschwunden.

Keine Minute später kam Tyra ein weiteres Mal in den Aufenthaltsraum; diesmal in ihren eigenen Klamotten.

"Ähm, also...", begann sie und spielte mit dem Rand ihres Shirts.

"Stella hat dir Kaffee gemacht. Willst du dich nicht setzen?", unterbrach Tara sie.

Dankbar hörte sie auf an ihrem Shirt herumzufummeln, und setzte sich an den Tisch.

Zehn Minuten später kam Stella aus dem Badezimmer, nur um gleich wieder zu verschwinden, nämlich in sein Schlafzimmer.

Es überraschte ihn, dass das Bett gemacht war.

Es war auch nichts angerührt; Lucy und Eve waren brave Gäste gewesen.

Nicht, dass es irgendetwas zu finden gegeben hätte, Stella hatte noch nicht einmal ausgepackt.

Schnell zog er sich um und ging dann wieder hinaus.

"Es ist schon spät, wollt ihr euch nicht fertigmachen?", fragte er, nachdem er die vier gemustert hatte und keiner von ihnen Anstalten machte, aufzustehen.

"Huh? Ja, klar.", meinte Tara bloß und verschwand dann im Bad.

"Ich gehe dann mal besser.", erklärte Tyra und stand auf.

Bevor sie aber bei der Tür war, stand Jared auch schon hinter ihr und hielt sie fest.

Sie sah ihn kurz irritiert an.

Im nächsten Moment küsste er sie.

Stella sah höflich weg, während die beiden einen überraschend leidenschaftlichen Kuss austauschten.

Als sie sich wieder voneinander lösten, lächelte Jared sanft.

"Bis später."

"Uh, ja.", mehr brachte die überrumpelte Tyra nicht heraus, bevor sie schließlich endgültig ging.

Jared setzte sich wieder.

"Was genau... ist das mit ihr?", wollte Stella wissen und lehnte sich gegen die Tischkante.

"Wie meinst du das?", Jared sah seinen Gastgeber verwirrt an.

"Tyra ist ein nettes Mädchen. Wenn du dich nur vergnügen willst, suchst du dir lieber jemand anderes.", erläuterte Stella.

Jared musterte den weißhaarigen überrascht.

"Du willst sie beschützen, obwohl du sie noch gar nicht richtig kennst? Du bist lustig."

Stella schwieg und sah Jared weiterhin an.

"Keine Sorge.", sagte er schließlich, "Sie... ist irgendwie was besonderes. Das hab ich gleich gemerkt.

Ich denke, ich habe sie wirklich gern."

"Wie schnell du sowas entscheiden kannst.", meinte Stella sarkastisch, lächelte aber dann.

"Gut. Solange du weißt, was du tust."

Jared stand auf und streckte sich.

"Ach ja, Jared?"

"Hm?"

"Gratulation zu deinem Kampf gestern. Du bist ja verdammt gut."

Jared kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

"Nein, wirklich."

Jared musterte den weißhaarigen.

"Dann sollten wir gemeinsam trainieren."

"Huh?"

Nun war es an Stella verwirrt auszusehen.

"Du willst doch Shion schlagen, oder irre ich mich?"

"Das hast du gehört...?", Stella sah verlegen auf die Tischplatte.

"Kein Grund rot zu werden. Ich meine ja nur, wenn du denkst, ich wäre so gut, dann kann ich dir vielleicht das ein oder andere beibringen. Soweit ich gesehen habe, ist Shion in einer ganz anderen Liga als du oder ich."

"Mag sein..."

Stella hob den Blick und sah Jared nun entschlossen an.

"Dann nehme ich dein Angebot gerne an!"

Jared lächelte. "Beschlossene Sache."

Stella hielt inne.

"Hey, wo sind eigentlich die anderen?"

"Luca ist gestern abend noch gegangen. Krad ist immer noch nicht zurück. Er hat wohl woanders übernachtet.", erklärte Jared.

"Und Noel?"

"Noel? Ah ja, der war ja gestern auch hier... Hm. Keine Ahnung."

Stella überlegte kurz, ob sein Freund irgendwo im Quartier liegen könnte, wo sie ihn noch nicht entdeckt hätten.

Da kam plötzlich ein erschrockener Schrei aus dem Badezimmer, und nur Sekunden darauf ein vor Wut rot angelaufener Tara mit einem Handtuch um die Hüften.

"Was zum Teufel geht hier eigentlich ab?!", schrie er.

Überrumpelt konnten weder Stella noch Jared noch Lucy ein Wort sagen.

Lucy versteckte sich erschrocken hinter Stella.

Da kam auf einmal ein schlaftrunkener Noel hinter Tara aus dem Bad und rieb sich die Augen.

"Noel?!", wunderten sich die drei gleichzeitig.

"Morgen.", kam bloß vom brünetten.

"Wieso zur Hölle liegt der Kerl im Badezimmer?!"

Niemand hatte eine Antwort darauf.

"Stella!!"

Der weißhaarige zuckte erschrocken zusammen.

"W-Was?"

"Du warst doch auch schon duschen!! Wieso hast du ihn nicht rausgeworfen?!"

"I-Ich hab ihn nicht gesehen.", versuchte Stella sich zu rechtfertigen.

"Und Tyra?! Die war doch auch schon hier drin, oder?!"

"Was weiß ich.", meinte Jared trocken. Er hatte seine Fassung schnell wieder erlangt.

"Aaaargh!!"

Wutentbrannt stapfte Tara zurück ins Bad und knallte die Tür zu.

Noel sah ihm kurz teilnahmslos nach, dann ging er zur Kaffeemaschine.

"Noel, wieso hast du im Bad geschlafen?", wollte Stella, immer noch perplex von Taras Wutausbruch, wissen.

"Na, die Schlafzimmer waren belegt. Hätte ich mich zu dir auf die Couch legen sollen?", entgegnete Noel, der langsam wach wurde; ob durch den Kaffee oder Taras Geschrei, das konnte keiner sagen.

Der brünette setzte sich mit seinem Kaffee an den Tisch und musterte zuerst Jareds ausdruckslose Miene, dann Lucys immer noch leicht verschreckten Blick, und dann Stellas entgeistertes Gesicht.

"Kriegt euch mal wieder ein, was ist dabei? Als hätte ich noch nie einen nackten Mann gesehen."

"Dann warst du also schon wach, als ich duschen war?!", rief Stella erschrocken, was seine Tonlage um eine Oktave hob.

Noel kicherte wegen der plötzlichen Tonänderung.

"Nein. Tara hat mir ein nasses Handtuch entgegengeworfen, da bin ich aufgewacht."

"WO warst du überhaupt? Wenn man schon im Bad schläft, dann doch in der Badewanne, oder?", zeigte Jared wieder Interesse an der Unterhaltung.

"Sie haben doch nicht mal eine Badewanne. Ich bin neben dem Kasten für die Badetücher am Boden gehockt."

Stella legte den Kopf schief.

Möglich wäre es wahrscheinlich schon, so zu schlafen. Und wenn er beim Handtuchregal war, hatte er ihn auch leicht übersehen können. Das Handtuch, das Tara geworfen hatte, war schließlich höchstwahrscheinlich das gewesen, was Stella nicht weggeräumt hatte. Damit hatte Stella nicht einmal zum Regal hinsehen müssen.

Stella fasste sich an den Kopf. Von der ganzen Denkerei so früh am Morgen bekam er Kopfschmerzen.

"Das kann ja heiter werden. Ich wusste nicht, dass Tara so ein Temperament hat.", meinte Stella dann seufzend und setzte sich wieder.

"Er kriegt sich schon wieder ein.", meinte Noel teilnahmslos.

"Hey, du bist doch daran Schuld! Beruhige DU ihn doch wieder!", regte sich jetzt Lucy auf.

"Hey hey, jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder. Herumschreien bringt doch genau gar nichts.", versuchte Stella, die Atmosphäre wieder etwas zu lockern.

Jared und Lucy seufzten.

"Ja, du hast wohl recht.", murrte Jared, bevor er schließlich wieder aufstand und mit einer letzten Handbewegung zum Abschied aus dem Quartier verschwand.

"Also, er ist ganz schön leicht reizbar für jemanden, der sich im postkoitalen Zustand befindet.", meinte Noel, ehrlich verwundert.

"Woher weißt du denn das?"

Stella war sich sicher, es noch nicht zur Sprache gebracht zu haben.

"Bitte. Er ist genauso leicht zu durchschauen wie du gestern.

Und die beiden haben doch gestern schon aufeinander geklebt.

Außerdem sehen seine Haare wüst aus, selbst für seine Maßstäbe."

"Woher willst du wissen, was sein Maßstab ist? Du kennst ihn doch auch erst seit gestern."

"Stella, Stella. Streng dein armes Köpfchen nicht so sehr an, es ist noch früh. Ich habe eben eine gute Menschenkenntnis."

Stella schmollte sofort.

Noel blinzelte ein paar Mal. "Was ist denn jetzt? Schmollst du?"

"Nein!"

Der brünette kicherte.

Dann stand er auf und trank mit einem Schluck seinen Kaffee aus.

Dann ging er zu Stella und wuschelte ihm durch die Haare.

"Ich hab dich also wieder wie ein Kind behandelt? Das wollte ich nicht. Aber du bist so niedlich, wenn du schmollst!"

Stella öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Noel hielt ihm einen Finger auf die Lippen.

"Ganz ruhig. War nur ein Scherz. Es tut mir Leid, wenn ich dich damit verärgert habe.

...ich geh mich umziehen, wir sehen uns später."

Und damit ging Noel, ohne Stella die Chance zu geben, etwas zu erwidern.

Beleidigt verschränkte Stella die Arme, während Lucy ihn verwundert ansah; mit einer Mischung aus amüsiert und nachdenklich.

 

 

"Einen schönen Guten Morgen.

Mein Name ist Leav Kamino, ich werde euch die hohe Kunst der Magie lehren."

Die neue Ausbilderin war bildschön. Ihr Outfit war, wie von einer Magierin nicht anders zu erwarten, sehr extravagant, und sie hatte ihre langen schwarzen Haare elegant hochgesteckt.

"Ihr werdet mit etwas simplem anfangen. Vor jedem von euch befindet sich eine Kerze.

Eure Aufgabe ist es, die Kerze anzuzünden.

Wagt es nicht, nach Streichhölzern zu suchen, wir machen es auf die elegante Art.

Zuvor müssen wir jedoch ein wenig Theorie durchnehmen.

Alles in dieser Welt besteht aus drei Arten von Energie;

Mana, der Energie des Windes, Cryas, der Energie des Wassers, und Aer, der Energie des Feuers.

Ich empfehle, das niederzuschreiben.

Dies ist die Grundlage für alles weitere.

Mana, Cryas und Aer. Behaltet das immer im Hinterkopf.

Alle drei Arten befinden sich in der Luft, im Boden, in den Wänden, selbst in euren Tischen und Stühlen.

Sie sind überall.

Ihr müsst sie binden, also den Energiepartikeln eine feste Form geben, um sie nutzen zu können.

Zum Anzünden der Kerze braucht ihr Aer.

Bindet also das Aer und lenkt es auf die Kerze.

Wichtig dabei ist, NUR das Aer zu binden, kein Cryas und kein Mana; nur Aer.

Stellt euch die drei Arten als Farben vor. Mana grün, Cryas blau, Aer rot.

Schließt die Augen und versucht, die Energien zu spüren."

Stella schloss die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren.

Erst war alles schwarz, aber dann, nach einer Weile, sah er kleine Lichtpünktchen.

Sie waren überall.

Erst nur weiße.

Und dann konnte er sie plötzlich unterscheiden.

In rot, blau und grün, sowie es Leav gesagt hatte.

Stella öffnete die Augen wieder.

Er sah sich um und sah, dass nur eine handvoll andere ebenfalls die Augen offen hatten.

Er erinnerte sich an die Namen von zwei von ihnen; Shaiya und Rachel.

Hatte er also recht gehabt mit seiner Vermutung, sie seien eher die magischen Talente.

Nach einer Weile, als endlich alle wieder die Augen offen hatten, fuhr Leav fort, ihnen zu erklären, wie sie das Aer nun binden sollten.

Wieder schloss Stella die Augen, und er sah alsbald die bunten Pünktchen wieder.

Es schien, je öfter man nach ihnen suchte, desto leichter wurde es.

Zumindest glaubte Stella das.

Dann tat er, was Leav ihnen erklärt hatte, und öffnete die Augen.

Er hob die Hand und drehte die Handfläche nach oben.

Dann konzentrierte er sich.

Er sah gedanklich vor sich, wie die roten Aer-Pünktchen sich auf seine Handfläche bewegten, und im nächsten Moment ging seine Hand in Flammen auf.

Durch den Schreck darüber verlor er seine Konzentration, und die Flammen verschwanden.

Nach drei weiteren Versuchen, bei denen immer wieder seine ganze Hand brannte, gab Stella seufzend auf.

Seine Haut war bis zum Ellenbogen schon ganz angekokelt, und Stella war sich sicher, würde er weitermachen, zöge er sich wirklich noch Brandwunden zu.

Frustriert schweigend musterte er die schwarzen Spuren auf seinem Arm.

"Gibst du auch auf?", fragte Lucy vom Nebentisch.

Stella sah sie resigniert an, bevor er ihr seine Hand zeigte.

"Oh. Tut es weh?"

"Nein... noch nicht.", grinste Stella; "Wieso eigentlich 'auch'?"

Lucy sah auf ihre Kerze; der Docht war noch wachsüberzogen.

"Ich kann das nicht...", erklärte sie enttäuscht.

"Wird schon noch.", wollte Stella sie aufmuntern, auch wenn er selber gerade daran zweifelte.

"Stella und Lucy, richtig? Warum habt ihr aufgehört?", unterbrach sie Leav, die hinter ihnen stand, und musterte neugierig die Kerzen der beiden.

"Ich krieg das nicht hin...! Die blöden Pünktchen wollen sich nicht bewegen.", jammerte Lucy.

"Können durch Erfahrung. Versuche es weiter.", meinte Leav geduldig und sah dann Stella an; ebenfalls eine Erklärung erwartend.

Der weißhaarige seufzte und zeigte seiner Ausbilderin seinen Arm.

"Oh weh, da hat jemand mehr Energie als Konzentration, hm?", Leav lächelte und bewegte ihre Hand über Stellas Arm, dabei ein bläuliches Leuchten hinterlassend.

Die schwarzen Spuren waren plötzlich fort und Stella fühlte eine angenehme Kälte, die das inzwischen schon leichte Brennen seines Arms abschwächte und schließlich verschwinden ließ.

"Du kontrollierst das Aer nicht; du setzt es nur frei. Darum sind die Flammen so groß.

Versuche, das Aer direkt auf die Kerze zu lenken; selbst, wenn die Flamme dann groß sein sollte, verletzt du dich dabei nicht.

Finde innere Ruhe; konzentriere dich nur auf deine Aufgabe. Du musst die Energie eindämmen.

...in Ordnung? Versuch es weiter."

Leav lächelte ihren beiden Schülern aufmunternd zu, dann ging sie weiter ihre Runde.

Stella seufzte, beschloss jedoch, den Rat seiner Ausbilderin zu befolgen.

 

Schließlich hatten alle es geschafft, die Kerze anzuzünden.

Stella hatte es nach einer Weile geschafft, das Aer etwas einzudämmen, und obwohl die ursprüngliche Zündflamme ungesund hoch war, flackerte die Kerze nun friedlich vor sich hin.

Auch Lucy hatte Fortschritte gemacht; der Docht ihrer Kerze war nun schon vom Wachs befreit.

Allerdings war sie immer noch nicht fähig, genug Hitze zu erzeugen, um wirklich eine Flamme zu schaffen.

"In Ordnung, das war bereits ganz gut.", beendete Leav die Übung und stellte sich wieder nach vorne zu ihrem Katheder.

"Nun versuchen wir Cryas. Es ist die Energie des Wassers, und das schwierige dabei ist, dass es keinen festen Zustand hat.

Ihr werdet versuchen, aus dem Cryas um euch herum einen Eiswürfel zu erzeugen.

Dazu müsst ihr nicht nur das Cryas an einem Punkt versammeln, sondern auch das Aer herausziehen, um aus dem Wasser Eis zu machen. Experimentiert, wie ihr das am besten schafft."

Damit setzte sich Leav lächelnd auf den Katheder und überschlug die Beine.

Stella bemerkte Lucys neugierigen Blick.

"Ist etwas?", fragte er.

"Ich wollte sehen, wie du das machst.", erwiderte Lucy ehrlich.

"Wäre es nicht besser, Shaiya zu beobachten? Die hat es richtig drauf, anders als unser Möchtegern-Copperfield hier.", mischte sich Noel grinsend ein und stützte das Kinn auf eine Hand, was ihm einen schelmischen Ausdruck verlieh.

Er hatte durchaus recht; Shaiya war ein unglaubliches magisches Talent. Sie hatte sich bisher noch nicht einmal anstrengen müssen und hatte trotzdem die besten Ergebnisse vorweisen können.

"Ach hör schon auf! Ich gebe mir doch Mühe!", regte sich Stella entrüstet auf.

"Bleib cool. Du gibst doch sowieso nicht auf, bis du es kannst, oder?", gab Noel zurück, das schelmische Grinsen durch ein sanftes Lächeln ersetzend.

Stella stockte.

Noel hatte völlig recht. Wie konnte er so durchschaubar sein?

Der brünette kannte ihn erst kurz, und trotzdem konnte er schon in seinen Kopf sehen.

"Aber Shaiya ist so... ...ich sehe lieber Stella zu.", meinte Lucy kleinlaut.

"Ach was, Shaiya wirkt doch recht nett. Wenn du sie fragst, würde sie dir sicher helfen.", entgegnete Stella verwirrt.

Ihm schien Shaiya nicht komisch oder unfreundlich. Wieso nur war Lucy so dagegen, von ihr zu lernen?

"Nein, wenn DU sie fragen würdest, würde sie dir helfen.", entgegnete Noel leise.

"Huh?"

"Ach nichts. Ich fang mal an.", brach Noel seinen Beitrag ab und begann sich zu konzentrieren.

"...ich versuch's auch.", wandte sich auch Lucy ab.

Stella sah zuerst Noel, dann Lucy an.

Er fühlte sich irgendwie allein.

Aber er wollte sich jetzt nicht selbst deprimieren, also konzentrierte er sich wieder auf die bunten Pünktchen um ihn herum.

 

Als der Mittag endlich kam und Leav ihre Schüler in die Pause entließ, ließ Stella den Kopf auf die Tischplatte sinken.

Er hatte nicht einen Eiswürfel hinbekommen. Nur eine Pfütze nach der anderen produziert, und das so lange, bis das Wasser von seinem Tisch hinunterzutropfen begann.

Nach der Cryas-Übung hatte Leav ihnen das Binden von Mana erklärt, und Stella hatte die Feder, die sie dafür bekommen hatten, gerademal zum Wackeln gebracht.

Und jetzt nahm seine Frustration über seine Unfähigkeit Überhand.

"Stella? Alles okay?", Noel klang besorgt.

Der weißhaarige machte eine abwehrende, wedelnde Handbewegung.

"Passt schon."

"…"

Er spürte immer noch Noels Blick auf sich ruhen, aber da der brünette nichts mehr sagte, schwieg auch Stella.

Schließlich fiel ein Schatten auf Stella.

Als der weißhaarige aufsah, stand Tara vor seinem und Noels Tisch.

"Stella, ich hab Hunger.", erklärte er.

Stella stand auf und sah Krad an der Tür stehen, mit verschränkten Armen und offensichtlich darauf wartend, dass seine Mitbewohner kamen.

"Gehen wir." Stella wandte sich an Noel. "Bis später."

"Yup."

Während Stella darauf wartete, dass das Wasser für die Nudeln kochte, er wollte seine, zumindest bei ihm zuhause, berühmten Käsenudeln machen, wandte er sich an Krad;

"Wo warst du eigentlich heute Nacht?"

"Ich habe in Jared und Fynns Quartier übernachtet. Nachdem sie gestern beide zu eurer Party gegangen sind und Jared nur meinte, er würde ohnehin hier übernachten, habe ich mit Fynn ausgemacht, mir Jareds Bett auszuleihen."

Stella hatte Krad noch nie so viele Worte auf einmal sagen hören.

"Ach.", sagte er aber nur.

"Dieser Gigolo wusste also schon, dass er nicht zu sich ins Quartier zurückgehen würde.

Und dann tut er so unschuldig...", meuterte Tara.

"Ist doch nicht so wild. Solange es Krad nicht stört?", beschwichtigte Stella seinen Mitbewohner.

"Ich hab ja auch in seinem Bett geschlafen. Es war ein fairer Deal."

"Dann ist doch alles okay.", meinte Stella nur, bevor er die letzten Handgriffe tat und drei gefüllte Teller auf den Tisch stellte.

 

"Habt ihr vor, sowas öfter zu machen?", fragte Krad schließlich, während er den Abwasch machte.

"Was öfter machen?", wollte Stella wissen.

"Solche Parties."

Kurzes Schweigen folgte.

"Keine Ahnung. Vielleicht?", begann Tara, "Wieso?"

"…"

"Du magst es nicht, wenn mehrere Leute auf kleinem Raum beisammen sind, oder?", spekulierte Stella.

"Das hat er doch nicht gesagt. Hast du doch nicht?", erwiderte Tara ungläubig.

"...eigentlich hat Stella recht.", meinte Krad schließlich.

"Dachte ich es mir doch."

"Wieso hast du denn nichts gesagt?", regte sich Tara auf.

"Hey, fahr ihn nicht an.", stoppte Stella sofort Taras beginnenden Wutanfall.

"Ihr wolltet doch die Leute alle versammeln. Wieso sollte ich es euch verbieten?"

Krad zuckte die Schultern.

Stella lächelte.

"Krad, es ist wirklich nett von dir, Rücksicht auf uns zu nehmen, aber du darfst uns ruhig sagen, wenn du in deinem Quartier nicht so viele Leute haben willst.", erklärte er dem anthrazithaarigen.

"Meinem Quartier? Es ist unser Quartier.", entgegnete Krad kopfschüttelnd, "Und es stand zwei gegen einen."

"Es geht hier nicht um Mehrheiten. Es ist unser Quartier, ja, aber das heißt, dass wir eine Einheit bilden sollten.

Wir können uns mit den anderen auch woanders treffen."

"Aber..."

"Versprich uns einfach, dass du in Zukunft mit uns sprichst, wenn dich etwas stört. Okay?", bat Stella lächelnd.

Krad sah kurz zu Tara, der daraufhin nickte, und dann wieder zu Stella; um dann etwas scheu zu lächeln.

"In Ordnung. Danke."

 

Nach der Pause fanden sich wieder alle pünktlich in der Trainingshalle ein, wo Gray sie bereits erwartete.

Er hatte die Halle präpariert, überall standen kleine Zielscheiben; wirklich klein. Stella schätzte sie auf kleiner als einen halben Meter Durchmesser.

"Willkommen zurück und schönen Nachmittag. Heute ist der Fernkampf dran.

Wir beginnen mit der ältesten Fernwaffe, abgesehen von einem geworfenen Stein; dem Bogen.

Wir werden zwei Arten des Bogenschießens lernen; das Kyudo, bei dem Konzentration und Technik vorrangig sind, und dem traditionellen Bogenschießen, bei dem die Treffsicherheit und das Schadenspotenzial der Angriffe zählen.

Wir beginnen mit dem traditionellen, weil die Bögen für das Kyudo nicht so leicht zu handhaben sind.

Jeder holt sich einen Bogen von dort drüben."

Die Art wie Gray dazu grinste gefiel Stella nicht.

Als endlich alle einen Bogen hatten und wieder zu ihrem Ausbilder zurückgekehrt waren, fuhr dieser fort;

"Jetzt sucht sich jeder eine Zielscheibe und tritt dort bis zur Linie; ich habe zu jeder Scheibe eine Markierung gemacht;

stellt euch dorthin. Und dann... versucht, die Scheibe zu treffen.

Ach ja; Niemand schießt auf einen seiner Kameraden; nicht einmal zielen. Wen ich dabei erwische, wie er seinen Bogen auf etwas anderes als die Scheibe richtet, erhält sofort eine Strafe und wird vom restlichen Unterricht ausgeschlossen. Verstanden?"

Die Schüler nickten.

Stella beobachtete, wie einige ihren Bogen wie einen Besenstiel hielten, während andere ihn gekonnt über der Schulter trugen.

Er versuchte auch, ihn sich an die Schulter zu hängen, scheiterte aber bei dem Versuch und schnitt sich dabei mit der Bogensehne in den Oberarm.

Er beschloss augenblicklich, dass Bögen nicht seine Lieblingswaffen werden würden.

Im gleichen Moment hörte er ein Kichern.

Leicht genervt und etwas beleidigt, dass ihn deshalb jemand auslachte, drehte er sich um und sah einen blonden jungen Mann, den er bis dato noch gar nicht wahrgenommen hatte.

"Was?!", fragte er angesäuert, als der blonde zu ihm aufschloss und nun neben ihm herging.

"Hast du dich verletzt?"

Der blonde schien fertig zu sein mit lachen.

"Halb so wild.", entgegnete Stella, gekränkt, dass der Typ dachte, er hätte sich mit seiner Waffe ernsthaft verletzt.

War nicht mehr als ein Kratzer, es blutete ein wenig, aber würde bald verheilt sein.

"Du bist ja schnell beleidigt. Friede, okay? Ich bin Ryan."

"Stella."

"Ah. Der Koch."

Stella blieb verdutzt stehen.

"Bitte?"

"Na, ich hab gehört du wurdest zum Kochdienst abkommandiert."

"Das stimmt schon, aber... woher weißt du das denn?"

"Hab ich vor der Mittagspause mitbekommen. Tara ist zu dir hin und hat gejammert, er hätte Hunger."

"Huh. Und woher kennst du Tara?"

"Die neugierige Type, was? Er ist... auffällig."

"Da hast du irgendwie recht."

"Wann kämpfst du mal gegen ihn?"

"Huh?"

Die beiden erreichten eine freie Markierung, und Ryan positionierte sich dort, was ihr Gespräch unterbrach.

Stella ging nur ein paar Schritte weiter und nahm "seine" Zielscheibe in Beschlag.

An jeder Markierung war ein Köcher mit Pfeilen deponiert.

Stella versuchte einen Pfeil zu spannen, mit zu Boden gerichtetem Bogen, brav nach Grays Vorschriften.

Immerhin war sich Stella absolut nicht sicher, ob er die Scheibe traf, und wollte niemanden aus Versehen treffen.

Er fühlte sich bestätigt, als er abrutschte und der Pfeil sich im Boden vergrub.

Seufzend zog Stella ihn heraus und versuchte es erneut, nur um wieder den Boden zu töten.

Nun knurrte Stella und atmete tief durch.

Stella verband Bogenschießen mit Konzentration und Gelassenheit, deshalb atmete er solange tief durch, bis er nicht mehr stinkig auf den Bogen war, weil er ihn nicht mochte.

Er hob den Bogen Richtung Zielscheibe und legte sich den Pfeil mit der Spitze auf die Hand, die den Bogen hielt.

Dann hielt er die Luft an, zog die Sehne zurück und fixierte seinen Blick auf die Scheibe, bevor er den Pfeil losließ.

Dummerweise bewegte er den ganzen Oberkörper mit, als er losließ, und so verfehlte er die Scheibe um ein ganz schönes Stück.

Stella ließ den Bogen sinken und schüttelte lautlos seufzend den Kopf.

Er war wohl wirklich nicht für den Fernkampf geeignet.

Irgendwo in seinem Hinterkopf regte sich die Information über Mana, die er vormittags von Leav gelernt hatte.

Er beschloss, es zu versuchen.

Er legte wieder an, schloss die Augen, suchte die Manapartikel und lenkte sie zur Pfeilspitze.

Dann öffnete er die Augen, fixierte die Scheibe wieder und gab sich alle Mühe, seine Absicht dem Mana um ihn herum mitzuteilen.

Dann ließ er den Pfeil los und lenkte gleichzeitig das Mana, das er gesammelt hatte, auf einer möglichst geraden Linie auf die Scheibe zu.

Diesmal bewegte sich der Pfeil eigenartig; fast schon wellenlinienförmig.

Und der Pfeil traf bei weitem nicht die Scheibe, noch weiter daneben als vorher.

Stella fluchte in Gedanken. Nicht einmal so funktionierte es.

"Stella."

Genannter wandte sich um und sah Gray grinsend hinter ihm stehen.

"Versuch es ohne Magie. Es geht nicht darum, wie schnell du es kannst. Übe weiter."

Stella nickte und nahm einen weiteren Pfeil.

"Den Arm gerade halten.", hörte der weißhaarige.

"Den Pfeil zum Bogen hin schieben, das stabilisiert ihn.

Dann so gerade wie möglich die Sehne zurückziehen."

Stella befolgte Grays Anweisungen so gut wie möglich.

"Jetzt los."

Der Pfeil landete auf der Scheibe, wenn auch nur ganz am Rand.

"Siehst du? Konzentrier dich nicht auf den Bogen, oder den Pfeil.

Verkrampfe dich nicht. Schön gleichmäßig bewegen, ohne ruckeln, ohne Gewalt.

Nur mit der Ruhe."

Damit ging Gray weiter.

Stella sah ihm kurz nach.

Ruhe.

Der weißhaarige griff wieder zum Köcher.

 

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Stella einigermaßen zufrieden war; er traf noch lange nicht in die Mitte, aber zumindest waren seine Pfeile nun schon einige Male in Folge auf der Scheibe gelandet.

Schließlich erklärte Gray die Übung für beendet.

"Gut, das war's auch schon für heute. Wir sehen uns morgen früh wieder."

Stella sah verwirrt auf die Uhr, die am Eingang der Halle hing.

Es war wirklich schon wieder abends.

Ein schneller Kontrollblick zu den Fenstern zeigte auch schon den Sonnenuntergang.

Der weißhaarige war völlig verwirrt.

Wie hatten die Stunden so schnell vergehen können?

Gray verließ die Halle, und kurz darauf stand Noel bei Stella.

"Konzentration ist nicht deine Stärke, was?"

"Ach hör auf...", seufzte Stella kopfschüttelnd.

"Was denn, deprimiert?

Da gibt es etwas, das der große Stella nicht kann, und er schmollt?"

"Noel...!"

"Halt, stop, sorry, ich hab's wieder gemacht, oder? Ich sollte mir das wirklich abgewöhnen.

Irgendwann knallst du mir eine."

Stella seufzte. "Würde ich nicht.", meinte er, dann suchte er die Halle nach seinen Mitbewohnern ab.

"Gebt ihr heute wieder eine Party?", wollte Noel wissen.

"Schon wieder?"

"War doch witzig, oder?"

"Schon..."

"Stella!"

Lucy kam auf die beiden zugelaufen.

"Gehen wir wieder zu euch?"

"Fängst du auch an?", kurz vorm Resignieren sah Stella die schwarzhaarige verwirrt an.

"Ich fand's lustig...", meinte sie.

"Yo, Leute!"

Und schon stand auch Tara bei ihnen, und er hatte Jared im Schlepptau.

"Helft mir, Stella will heute nicht Party machen!", jammerte Noel theatralisch.

Noel sah den stinkigen Blick von Tara, der wohl immer noch auf ihn beleidigt war, und wandte sich an Jared.

"Bittöööö!!!"

"Als ob ich da was zu sagen hätte!", wunderte sich Jared, dass Noel ihn flehend ansah.

"Ist ja eine Volksversammlung hier! Gibt's wieder eine Party?", Fynn hatte die Gruppe gesehen und kam natürlich auch gleich rüber.

"Schön, schön, ich gebe auf. Gehen wir.", stöhnte Stella kopfschüttelnd.

"Yay!!", freuten sich Fynn, Lucy und Noel synchron.

"Sagen wir den anderen auch Bescheid?", wollte Lucy wissen.

"Also irgendwie war es doch ein bisschen eng mit all den Leuten oben.", warf Tara ein, nach einem kurzen Blickwechsel mit Stella.

"Was ist mit hier?", fiel Jared ein.

"Dürfen wir das?", meinte Stella zweifelnd.

"Ich geh den Direktor fragen.", und schon lief Noel los.

"Dann sagen wir besser mal allen bescheid. Ich hole Eve und Luca!", meinte Lucy und lief auch los.

"Ich sage es Tyra.", machte sich Jared auf den Weg.

"Wir brauchen aber auch was zu trinken.", meinte Fynn.

"Aber keinen Alk, bitte.", entgegnete Tara.

"Hilfst du mir tragen? Wir haben auch Limo oben.", wandte sich Fynn an den brünetten.

"Klar."

Damit wollten sich die beiden auf den Weg machen.

"Tara! Wenn du Krad siehst, sag ihm doch bitte Bescheid. Er wird sich freuen, seine Ruhe zu haben."

"Yessir!", salutierte Tara grinsend, bevor er sich mit Fynn auf den Weg machte.

 

Plötzlich wieder allein, fiel Stella ein, dass er jemand neuen dabei haben wollte.

Er lief schnell zu Ryan, der gerade aus der Halle ging.

"Wir haben unser Gespräch nicht anständig beendet.", fing Stella lächelnd an.

Ryan erwiderte das Lächeln. "Stimmt."

"Ich bleibe mit ein paar Leuten noch hier. Hast du auch Lust?"

"Ach, weißt du...", wand sich Ryan kurz gespielt, dann grinste er, "Wieso nicht. Bin dabei."

"Klasse. Die anderen müssten gleich wieder hier sein. Setzen wir uns doch schon mal und reservieren Plätze."

"Gute Idee, sonst bekommen wir nachher noch die schlechten Sitzplätze."

 

Noel kam breit grinsend zurück und verkündete, dass Jerome ihnen ausnahmsweise die Erlaubnis erteilt hatte, solange kein Alkohol im Spiel war und keiner der anderen dadurch gestört wurde.

Tara sah Fynn daraufhin überlegen grinsend an, hatte er doch gleich gesagt, dass sie keinen Alk holen sollten.

Als alle beisammen waren, stellte Stella kurz Ryan vor, bevor schließlich, wie am Abend zuvor, jeder mit jedem redete und trotz der vielen Leute friedliche, gute Stimmung herrschte.

 

Die Zeit verging wie im Flug.

Stunden vergingen, doch niemand dachte auch nur daran, zu verschwinden.

Schließlich fanden sich Stella und Jared zum ersten Mal an diesem Abend in einem Gespräch wieder.

Und irgendwie kamen sie zum Thema Nahkampf, woraufhin Jared vorschlug, eine Runde zu trainieren.

Sofort war Stella dabei, und unter erwartendem, vorfreudigem Gerufe und Applaus gingen die beiden ein Stück von der Gruppe weg.

Es gab nicht mehr viel Licht, weil die Beleuchtung abgesehen vom Notlicht abends ausgeschaltet wurde, und so sahen beide nur noch Silhouetten.

"Ein Nachtkampf, interessant.", meinte Stella grinsend.

Er erwartete sich viel von diesem Kampf, immerhin wusste er, wie gut Jared war;

Jared war einer von den Leuten, die Stella besiegen musste, bevor er auch nur daran denken konnte, Shion herauszufordern.

Auch Jared freute sich auf diesen Kampf; er hatte trotz des kurzen Kampfes gegen Chrome gesehen, dass Stella Potenzial hatte; und er wollte herausfinden, wie stark er wirklich war, und noch werden konnte.

 

Stella griff als erstes an, er lief zu Jared und täuschte einen Schlag an, bevor er das Bein hochriss und Jared mit einem Tritt erwischen wollte, doch dieser hatte ihn durchschaut und blockte den Tritt, bevor er sich vornüber beugte und sich leicht drehte, sodass er das Bein von hinten schräg nach vorn ziehen konnte, er wollte Stella mit der Ferse erwischen.

Der weißhaarige konnte sich aber rechtzeitig ducken und konterte mit einem Aufwärtshaken mit zusätzlicher Kraft aus der Aufstehbewegung.

Jared wurde von den Füßen gerissen, drehte sich aber schnell genug in der Luft, um Stellas nächsten Schlag zu blocken, und mit der Energie von Stellas Angriff drehte er sich weiter, sodass er auf den Füßen landete.

Im gleichen Augenblick machte er einen Hechtsprung nach vorne, und während Stella, der schon wieder zu ihm aufschließen wollte, nicht mehr abbremsen konnte, stützte sich Jared mit den Händen am Boden ab, um Stella mit beiden Füßen zu treffen, was den weißhaarigen zurückwirbelte und auf den Boden aufschlagen ließ.

Stella riss sofort die Hände über den Kopf und stieß sich damit wieder vom Boden ab, und während Jared mit der Landung beschäftigt war, zielte Stella mit den Füßen auf ihn, als er wieder in die Luft kam.

Doch Jared war noch besser als man vorher gesehen hatte, und so nutzte er seine Flugbahn dazu, Stellas Angriff unter sich hindurch gehen zu lassen.

Daraufhin landeten beide Kämpfer wieder auf den Beinen, keine zwei Schritte voneinander entfernt.

Beide machten sofort einen halbrunden Schritt rückwärts auf den anderen zu und wollten beide mit dem Handrücken zuschlagen, woraufhin sie sich gegenseitig blockten.

Stella riss wieder das Bein hoch, und wieder blockte Jared mit dem Unterarm.

Anstatt jedoch wieder anzugreifen wie zuvor, drehte der schwarzhaarige den Arm und ergriff Stellas Knöchel, bevor er ihn daran näher heranzog und mit der anderen Hand nach seinem Kopf schlug.

Bevor er ihn traf, hielt Jared in der Bewegung inne.

Dann schnippte er ihm mit dem Finger gegen die Wange.

"Erwischt."

Dadurch, dass Jared immer noch seinen Fuß festhielt, verlor Stella schnell die Balance.

Als Jared das sah, ließ er ihn los, aber es war zu spät; Stella fiel hin wie ein Sack Mehl.

Er knurrte.

"Uncool.", murrte er.

Jared hielt ihm die Hand hin.

Stella sah auf und in das freundlich lächelnde Gesicht des Schwarzhaarigen.

Dankbar ließ sich der weißhaarige aufhelfen.

Unter bewunderndem Applaus kehrten die beiden zu ihren Freunden zurück und setzten sich.

"Ich hatte also recht.", meinte Jared, nachdem er einen großen Schluck genommen hatte.

"Womit?", fragte Lucy neugierig.

"Der Kleine ist gut. Verdammt gut. ...wenn er sich konzentriert.", grinste Jared und verpasste Stella neben sich eine kleine Kopfnuss.

"Hey!"

"Du merkst das selber gar nicht, oder?"

Fragend sah Stella den schwarzhaarigen an.

"Der einzige richtige Treffer, den ich landen konnte, war in dem Moment, als du frustriert warst, dass du selber nicht richtig treffen konntest. Hab ich recht oder hab ich recht?"

Stella musste einsehen, dass Jared richtig lag.

In dem Moment hatte wirklich seine Konzentration nachgelassen.

"Schau nicht so finster.", meinte Ryan.

"?"

"Jetzt weißt du wenigstens, woran du arbeiten musst.

War es nicht heute beim Bogenschießen dasselbe?", erklärte der blonde.

Stella seufzte, als er daran dachte.

"Sieh das Bogenschießen als Konzentrationstraining.", mischte sich jetzt auch Noel ein.

Stella musterte zuerst den brünetten, dann Ryan, dann Jared;

und dann grinste er schief.

"Ich muss wirklich armselig aussehen. Wie ihr alle versucht, mich aufzumuntern."

"Nicht armselig.", entgegnete Ryan.

"Nur wie ein Kind, das Laufen lernt und weint weil es zuerst immer hinfällt.", fügte Noel hinzu.

"Noe~l...!!"

"Ups, sorry.", sagte Noel zwar sofort, grinste aber schelmisch.

 

Donnerstag

 

Stunden vergingen, bevor die ersten aufbrachen um ins Bett zu gehen.

Stella, Fynn, Tara und Ryan waren die letzten, welche die Halle verließen;

deshalb waren sie auch diejenigen, die am nächsten Morgen am wenigsten ausgeschlafen waren.

Stella und Tara hatten bereits den ganzen Morgen im Quartier die Kommentare von Krad ertragen müssen, unfähig, angemessen zu kontern, weil sie so müde waren, und auch jetzt hörte der schier endlose Strom an Sticheleien nicht auf.

Eher wurde es schlimmer, weil natürlich auch die anderen, die am Vortag früh schlafen gegangen waren, mitzogen.

Glücklicherweise kam alsbald Gray Freed in die Trainingshalle und eröffnete den Unterricht;

An diesem Vormittag war der bewaffnete Nahkampf dran.

Gray verteilte hölzerne Stäbe.

"Nachdem ihr euch ja nur zu gern gegenseitig; und auch selbst; verletzt, habe ich beschlossen, nicht gleich mit Klingenwaffen zu beginnen. Deshalb ist eure erste Übung, mit dem Bo umgehen zu lernen."

"...Bo...? Dieser... Stab?", murmelte Stella und wandte das Stück runde Holz hin und her.

"Also, erstmal die Grundlagen. Eine zweihändige Waffe ist schwerer zu führen als ein Einhänder. Weil ihr beide Hände gleichzeitig und meistens unabhängig voneinander bewegen müsst, um effektiv angreifen zu können. Also, fangen wir an.

Greift eure Waffe folgendermaßen..."

 

Der Vormittag ging zu Ende, ohne dass sich jemand verletzte;

zu Grays großer Verwunderung, aber auch Erleichterung.

Schließlich rief Gray seine Schüler wieder zu sich.

"In Ordnung. Ihr habt eure ersten Tage überstanden.

Ihr habt nun gesehen, was euch erwarten wird.

Nach der Mittagspause geht ihr wieder in eure Klasse zurück; Valerie wird euch alles weitere erklären.

Ihr könnt gehen."

 

Krad und Tara kamen auf Stella zu.

"Also gehen wir erstmal was essen?", grinste Stella.

"Wenn du unbedingt willst.", grinste Tara zurück.

"Ist ja gut, gehen wir endlich oder nicht?", murrte Krad, konnte sich aber ein Grinsen auch nicht verkneifen.

Gespannt saßen nach der Mittagspause alle wieder überpünktlich an ihren Plätzen.

Schließlich betrat Valerie den Raum und grinste, als sie die erwartenden Gesichter ihrer Schüler sah.

"Schönen Nachmittag. Gray hat also schon gepetzt."

Valeries Grinsen verschwand.

Die blonde setzte sich auf den Katheder und schlug die Beine übereinander.

"Ihr habt in den letzten Tagen gesehen, welche Art von Training euch erwartet.

Sicher habt ihr auch schon Schwächen bei euch gefunden.

Hier geht es aber nicht nur um Training.

Es gibt noch so viel mehr."

Valerie stand schwungvoll auf und nahm den Stapel Zettel, der neben ihr auf dem Tisch gelegen hatte, um sie Krad in die Hand zu drücken, mit einem stummen Befehl im Blick.

Während Krad die Blätter austeilte, sprach Valerie weiter;

"Das ist eine Auflistung der zusätzlichen Aktivitäten.

Jeder von euch muss zwei davon wahrnehmen.

Ab nächster Woche habt ihr nur vormittags Training, die Nachmittage sind für die Clubs vorgesehen."

Stella überflog die verschiedenen Clubs;

Fuß- und Basketball, Kunst, Musik... es gab auch ein Schwimmteam, einen Buchclub und einen Technikclub.

Während Stella noch nachdachte, was wohl in einem Technikclub gemacht würde, war Krad fertig mit austeilen und hatte sich wieder hingesetzt, während Valerie sich gegen ihren Katheder lehnte und die Arme verschränkte.

"Ihr habt heute nachmittag Zeit, euch die verschiedenen Clubs anzusehen.

Morgen früh dann, wenn ich euch euren neuen Stundenplan gebe, erwarte ich, dass ihr euch für eure zwei Clubs entschieden habt.

Ihr seid verpflichtet, das ganze Jahr an den Clubaktivitäten teilzunehmen; also wählt gut.

...ihr könnt jederzeit gehen."

Damit verließ Valerie die Klasse wieder.

Stella sah zu Noel neben ihm.

"Ist dir schon was sympathisch?", wollte der weißhaarige wissen.

"Hm... Ich werde mir wohl als erstes den Musikclub ansehen. Ich war schon immer sehr musikalisch.", grinste Noel.

"Klasse. Ich gehe mit, der interessiert mich auch."

Auf der Liste stand neben dem Namen des Clubs auch der Raum, wo er abgehalten wurde, außer bei den sportlichen Aktivitäten, die in der Trainingshalle stattfanden.

Mithilfe des Lageplans hatten Stella und Noel schnell den richtigen Raum gefunden.

Überrascht stellte Stella fest, dass auch Leute, die er bereits kannte, hergekommen waren;

auf Anhieb entdeckte er Tyra und Luca, etwas länger brauchte er, um Shaiya zu entdecken.

Und schließlich sah er Kira. Er hätte nie gedacht, dass sich der stille Kira für Musik interessieren würde.

Schließlich räusperte sich ein junges Mädchen; eine zierliche Brünette mit langen Locken und schüchternem Lächeln.

"H-Hallo!

Ich bin Mikoto; vorläufig soll ich... die Clubpräsidentin sein.

Also... zumindest, bis wir jemand anderes wählen..."

 

Mikoto erklärte zögerlich, was sie hier alles machen konnten, und dann wählte sich jeder einen Part aus.

Tyra und Noel suchten sich die E-Gitarren aus während Luca, heute ohne Kapuze, sich die Bassgitarre schnappte.

Kira setzte sich an den großen, schwarzen Flügel, der in der Ecke stand.

Die blauhaarige Catherine setzte sich ans Schlagzeug und spielte gekonnt mit den Sticks.

Lias, der etwas kleingeratene aber freundlich wirkende Junge, stellte sich zum Keyboard. Es hatte zwei Reihen von Tasten, und Stella hatte nicht die leiseste Idee, wieso man beide brauchen sollte.

Die schöne Shaiya ergriff das Mikrophon. Stella hatte so eine Ahnung, dass ihre Stimme sehr schön sein würde.

Der weißhaarige selbst griff sich gespielt selbstsicher das zweite Mikrophon und erntete dafür sofort einen überraschten Blick von Noel.

Mikoto hatte schließlich eine Geige in der Hand.

Jeder probierte sein Instrument ein bisschen aus, und Shaiya und Stella machten ein paar Aufwärmübungen für die Stimmbänder.

"Hallo."

Stella unterbrach seine Übungen, als Shaiya näher zu ihm gekommen war und ihn freundlich anlächelte.

"Hi."

"Was hältst du von einem kurzen Duett? Sehen wir mal, wie unsere Tonlagen sich ergänzen."

Stella nickte. "Gern."

Im selben Moment stieg sein Puls stark an. Noch nicht einmal beigetreten und schon sollte er ein Duett singen?

Shaiya bat Kira und Mikoto um instrumentale Unterstützung, bevor sie zu singen begann.

Stella war beeindruckt.

Ihre Stimme war kraftvoller als man es ihr zugetraut hätte, und obwohl sie ohne Worte sang, nur Vokale, bekam Stella von der Emotion dahinter eine Gänsehaut.

Sie gab Stella ein Zeichen, dass er einsteigen sollte, und nachdem er entschieden hatte, wie und wann er das tun sollte, begann er.

Es kam nicht oft vor, dass Stella sich keine Gedanken um alle anderen machte, aber wie er da stand und mit Shaiya sang, verlor er sich gänzlich in der Melodie, welche sie ihm vorgab.

Minuten vergingen, und dann ließen die beiden ihr Lied ausklingen.

Etwas außer Puste atmete Stella tief durch.

Als er sich umsah, erkannte er Staunen in den meisten Gesichtern um ihn herum. Nur Shaiya lächelte ihn zufrieden an.

"Ein ebenbürtiger Partner. Sehr erfreut."

Ein paar Sekunden vergingen, bevor sich wieder jemand bewegte, und es war Noel, der auf Stella zukam.

"Hey, bist du wirklich so ein Naturtalent? Ich hab noch nie jemanden so singen gehört..."

"Ehrlich gesagt bin ich selber überrascht.", grinste Stella verlegen, "Ich habe noch nie mit anderen gesungen. Ich war immer der Typ, der unter der Dusche singt."

Noel legte die Stirn in Falten.

"Wieso dann gerade jetzt? War es dir egal, falls es nicht klappt?"

"Soweit hab ich nicht gedacht. Aber wenn nicht jetzt, wann dann?

Erinnerst du dich, was Valerie am ersten Tag gesagt hat? Unsere Vergangenheit zählt hier nicht.

Genau jetzt, genau hier ist doch die beste Möglichkeit, etwas zu tun, was man noch nie getan hat, oder?"

Noel schwieg.

Dieser kleine, verwirrte Junge, der scheinbar keinen Gedanken daran verliert, was er tut, und wie seine Umgebung darauf wohl reagieren mochte...

Es beeindruckte Noel.

Als nächstes sahen sie sich den Basketballclub an.

Noel wollte dort einsteigen.

"Weißt du, ich hab's nicht so mit Basketball. Ich geh weiter zum Fußballteam.", verabschiedete sich Stella von seinem Freund und Sitznachbarn, bevor er weiterging.

Bei den Fans des runden Leders angekommen, entdeckte er Tara, und ging auch gleich zu ihm.

"Hast du schon etwas gefunden?", fragte der brünette.

"Ich werde wohl dem Musikclub beitreten. Was ist mit dir?"

"Kunst."

"Kunst?"

"Kunst. Traust du mir nicht zu, was? Ich male gern."

"Ach?", scherzte Stella, war aber innerlich doch sehr überrascht. Er hätte seinem temperamentvollen Mitbewohner wirklich nicht zugetraut, eine künstlerische Ader zu haben.

Ein junger Mann mit stacheligen, schwarzen Haaren erhob seine Stimme.

"Hey Leute, ich bin Zack. Ich bin momentan Kapitän des Fußballteams.

Dann sehen wir uns mal die Aufstellung an. Wer im Angriff spielen will, geht bitte hier rüber, die Verteidiger dorthin.

Wir bilden zwei Teams, damit wir gegeneinander spielen können. Ich mache den Torwart des einen Teams, wir brauchen dann noch einen."

Die Auszubildenden setzten sich in Bewegung.

Während Tara sich zu den Verteidigern gesellte, stellte sich Stella entschlossen zu den Stürmern.

Er wurde von Ryan grinsend begrüßt, und er sah auch Shion.

Etwas weniger erfreut war er, als er Chrome und Kaleo sah, ebenfalls im Angriff.

Stella hatte sich für die beiden auch nichts anderes vorstellen können.

Außerdem sah er Hervey, Eves Gegner im Sparring, und Kira in der Verteidigung.

Am meisten überraschte ihn allerdings der zweite Torhüter; es war eine blonde junge Frau, sie war ziemlich klein, sah aber durchaus sportlich aus.

Zack nickte.

"Schön, dass sich das so gut ausgeht. Okay, zu den Teams... Ihr..."

Zack deutete auf Shion, Ryan, Chrome und Kaleo;

"...seid der Angriff des ersten Teams, nennen wir es Team Rot. Die Verteidiger dazu seid ihr..."

Zack deutete drei Spielern, die Stella noch nicht kannte.

"Ich bin euer Torwart. Die anderen gehören zum anderen Team, sagen wir, Team Blau.

Alles kla~r?"

Stella sah sich um.

Er war mit Tara, Hervey, Kira und der blonden Torhüterin im Team.

Seine Stürmerkollegen kannte er noch nicht.

"Einwände?"

Keiner erwiderte etwas.

"Gut. Dann halten wir diese Teamaufstellung fest. Wartet mal kurz..."

Zack schrieb die Aufteilung auf ein Blatt Papier.

"Ich werde das hier irgendwo aufhängen, vielleicht bei den Klassen... Sodass jeder immer weiß, wo er spielt.

Ich sage euch noch Bescheid, wenn ich weiß, wo.

Oka~y, dann fangen wir mal an. Wir müssen aufpassen, dass wir den Basketballern nicht den Platz wegnehmen. Wir teilen uns die Halle mit ihnen. Alle auf ihre Plätze!"

"Hey, Zack? Brauchen wir keinen Schiedsrichter?", wollte Hervey wissen.

"Das machen Rue und ich. Okay?"

Also hieß Stellas Torhüterin Rue. Immer schön zu wissen.

 

Sie spielten eine Weile, zuerst vorsichtig und abwartend; es wusste schließlich noch niemand genau, wie die anderen spielten. Keiner konnte den anderen einschätzen.

Nach zwei Spielen, die beide das rote Team mit Chrome gewonnen hatte, rief Zack das Ende des Meetings aus.

"Ich gebe euch also noch Bescheid, wo ich die Aufstellung aufhänge. Sonst sehen wir uns nächste Woche. Ciao!"

Damit war Zack auch schon auf dem Weg aus der Halle, und die meisten anderen folgten ihm.

Stella holte ein paar Mal tief Luft, um wieder zu Atem zu kommen, dann ging er zu Tara.

"Auf geht's? Ich hab meine beiden Clubs."

"Ja, ich auch. Scheint ganz unterhaltsam zu werden.", stimmte Tara zu.

Freitag

 

Am nächsten Morgen verteilte Valerie zuerst die neuen Stundenpläne, bevor sie jeden einzeln aufrief, um die Clubs einzutragen.

Es war das erste Mal, dass Stella aktiv registrierte, wer alles in seiner Klasse war;

Ryan hatte er noch nie wahrgenommen; Zwei seiner Stürmerkollegen, wie er jetzt erfuhr, hießen sie Akihiko und Shiro, sowie Catherine, die neue Schlagzeugerin des Musikclubs, Chrome und Kaleo, Eve, Luca und Tyra sowie die weißhaarige, leicht wahnsinnige Lara, mitsamt einer schwarzhaarigen Version ihrer selbst namens Kara;

Stella spekulierte, dass sie Zwillinge waren.

Leider sah er weder Rue, noch Mikoto, noch Zack, Tray oder Hervey.

Aber er sah sie ja in den Clubs.

Stella dachte darüber nach, ob das wohl auch Teil der Gründe war, warum es Pflicht war, zu den Clubs zu gehen; um den Zusammenhalt der Schüler untereinander zu stärken.

Dann wurde er aufgerufen.

Er ging nach vorne zu Valerie, die vor sich eine lange Liste liegen hatte.

"Also, Stella. Wofür hast du dich entschieden?"

"Musik und Fußball.", antwortete der weißhaarige sofort.

"...okay. Du kannst dich wieder setzen."

 

Als alle durch waren, begann Valerie wieder mit Theorieunterricht.

Mittags verkündete sie, dass am Nachmittag kein Clubtreffen stattfinden würde, und wünschte ihnen ein schönes Wochenende; doch nicht, ohne ihnen zu erklären, was sie in ihrer Freizeit, ob nun abends oder am Wochenende, zu tun und zu lassen hatten.

Sie hätte auch einfach sagen können “stellt nichts blödes an”, aber sie wählte die ausführlichere Version.

Letztendlich durften sie ihre Freizeit verbringen, wie sie wollten, doch es wurde natürlich erwartet, dass sie etwas trainierten, und dass sie die Finger von übermäßigem Alkoholkonsum ließen sowie nächtliche Ausflüge möglichst vermieden. Und mit Nachdruck erklärte sie, dass, falls Kämpfe ausgetrugen wurden, diese in der Halle stattzufinden hatten, und, dass niemand den anderen verletzte.

 

Stella machte sich mit Krad und Tara auf den Weg in ihr Quartier.

Noel fing sie ab.

“Yo, Stella?”

“Noel. Was ist?”, fragte der weißhaarige.

“Kann ich mit zu euch?”

“Wieso?”, fragte Krad sofort.

“...meine Mitbewohner können nicht kochen.”

“...und?”, Krad verschränkte die Arme. Er ahnte, was Noel sagen wollte, und es schien ihm nicht zu gefallen.

“Ich auch nicht.”, erläuterte Noel.

“Worauf willst du hinaus?”, fragte Tara skeptisch.

“Ich würde gerne Stellas Kocherei versuchen.”

Stella lachte kurz auf.

“Klar. Komm.”

Breit grinsend trippelte der Brünette den dreien hinterher;

Stella lächelte leicht, irgendwie verlegen, dass Noel unbedingt sein Essen versuchen wollte.

Tara schüttelte erst kurz den Kopf, ungläubig, dass Stella wirklich zugesagt hatte, bevor er schließlich einfach schwieg.

Krad seufzte ein ums andere Mal, sagte jedoch nichts dazu.

Während Stella am Kochen war, räumte Tara Geschirr auf den Tisch, wo sich Noel und Krad bereits niedergelassen hatten.

“Also, Krad, Tara, was habt ihr gewählt?”, begann Noel.

“Kunst und Buchclub.”, erwiderte Krad knapp.

Noel spürte die Abneigung und wandte sich Tara zu.

“Und du?”

“Fußball und Kunst.”

“Kunst?”, fragten Krad und Noel gleichzeitig nach, während Stella, nach wie vor am Kochen, über die Skepsis in ihren Stimmen grinste.

“Ja, Kunst. Warum überrascht das nur alle?”, Tara war sofort wieder gereizt.

“Ganz ruhig. Mit deinem Temperament ist Kunst nunmal nicht das erste, was man dir zuschreibt.”, mischte sich der weißhaarige ein und stellte seinen Mitbewohnern ihre Teller hin, bevor er seins und Noels holte und sich an den Tisch setzte.

Sofort war Taras Gereiztheit wie weggeblasen, nun, da er Essen vor sich stehen hatte.

Er regte sich glücklicherweise meistens genauso schnell ab, wie er sich aufregte.

“Lasst es euch schmecken.”

“Was ist das?”, fragte Noel, bevor er eine Gabel voll Nudeln mit der eigenartigen Sauce in den Mund steckte.

“Nudeln mit Hühnchen in Käserahmsauce.”, antwortete Stella beiläufig und aß weiter.

“Wow, das schmeckt gut!”, meinte Noel erstaunt.

“Wieso klingt das so überrascht?!”, ärgerte sich Stella kurz.

“Schön scharf.”, freute sich Tara. Er aß wohl gern gut gewürzt.

“Ich dachte mir schon, dass ihr es so mögt.”

Stella grinste triumphierend.

 

Als alle aufgegessen hatten, stand Krad auf, um abzuwaschen.

Der Koch war vom Abwasch befreit, und Tara hatte das Geschirr hergeräumt, deshalb machte Krad den Abwasch.

Er und Tara wechselten sich damit ab.

“Hey, hat Stella euch eigentlich schon erzählt, was im Musikclub heute passiert ist?”

“Was hat er denn angestellt?”, wollte Tara sofort grinsend wissen.

“Nicht angestellt. Er hat beschlossen, als Sänger einzusteigen.”

“Sänger, was?”, wiederholte Krad und sah Stella an, der verlegen die Tischplatte fixierte.

“Und er ist richtig gut.”

“Ach, das kann er also auch!”, grinste Tara weiter, “Überrascht mich nicht.”

“Wieso nicht?”, wollte Krad wissen.

“Es erfordert Talent und Gefühl, und wenig Konzentration. Deshalb war mir klar, dass er es gut kann.”, erklärte Tara.

“Er kann doch alles, wenn er will.”, meinte Noel und grinste breit, “Du hättest Shaiya sehen müssen. Sie ist die Sängerin im Club. Sie hat ihn als ebenbürtig bezeichnet, und ihre Stimme ist einfach der Hammer. Das sagt doch schon genug oder?”

“Sie muss es wissen.”, meinte Tara, ohne die leiseste Spur von Sarkasmus, was Stella überraschte.

“Hallo? Ich bin anwesend. Könnt ihr bitte nicht so reden, als ob ich nicht da wäre?”, bat Stella etwas gekränkt.

“Entschuldige.”, kam es von allen dreien synchron.

 

Nach eine Weile Herumsitzen, Reden, Fachliteratur überfliegen und Entspannen, begann Tara herumzuzappeln.

“Stella~?”

“Hm?”, nur widerwillig sah der weißhaarige von der Zeitschrift über Kampftechniken auf.

“Mir ist langweilig!”, der brünette schmollte wie ein kleines Kind.

“Und was soll ich dagegen machen?”, fragte Stella verwirrt.

“Lass uns irgendwas machen.”

“Tara hat recht. Es ist verdammt nochmal Freitag nachmittag. Wir können nicht nur blöd herumsitzen.”

Stella sah resignierend zu Noel, der seinem Mitbewohner zustimmte, und seufzte.

“Ich sitze nicht blöd herum. Ich lerne.”, entgegnete der weißhaarige.

“Mit Zeitschriften?”, fragte Tara nach und hob eine Augenbraue.

“Wie sonst?”

Tara stand schwungvoll auf.

“Feld-Recherche!!”, rief er aus.

“Huh?”, kam es von allen dreien zurück.

“Wir gehen! Trainingshalle!”

“Uhm... okay?”, gab Stella zurück und stand auf.

"Macht ihr nur. Ich lese weiter.", entgegnete Krad und hatte nicht die leiseste Absicht, sich zu bewegen.

"Ist okay.", meinte Stella, nickte ihm zustimmend zu und lächelte.

Krad erwiderte dankbar das Lächeln.

Seine anfänglichen Sorgen, ob er mit diesen beiden ungleichen Typen auskommen würden, wurden immer kleiner.

Als die drei in der Traininshalle ankamen, stellten sie fest, dass sie nicht die einzigen waren, die auf diese Idee gekommen waren.

Natürlich waren Chrome und Kaleo ein gutes Stück entfernt am Kämpfen.

Ryan war auch da, er hatte sich als Gegner eine hübsche junge Frau ausgesucht, die Stella als eine Klassenkameradin wiedererkannte, aber noch nicht einmal ihren Namen kannte.

Der weißhaarige entdeckte auch Kira, der gegen einen Jungen mit silbernen, schulterlangen Haaren kämpfte.

Shaiya und ihre Gegnerin vom ersten Tag, Rachel, die blauhaarige Catherine, die Stella bereits aus dem Musikclub kannte, Luca, Eve und eine etwas kleinere Brünette saßen in einem Kreis auf dem Boden und spielten sich mit einer Feder, die sie mittels Mana zwischen ihnen fliegen ließen.

Zwei Jungen, die Stella noch nicht kannte, waren am Bogenschießen.

Und dann fand Stella Tyra, die ein Stück abseits eine Folge von Schlag- und Tritttechniken ausführte; Schattenkampf.

“Huh, hätte nicht gedacht, dass so viele hier sein würden.”, wunderte sich Stella.

“Macht doch nichts.”, erwiderte Tara grinsend, er freute sich schon aufs Training.

“Was hältst du von ein bisschen Bogenschießübung?”, schlug Noel vor und musterte Stella.

“...wäre wahrscheinlich eine gute Idee...”

Stella war so gar nicht begeistert, und Noel kicherte darüber.

“Geht ihr nur. Ich sage Tyra Hallo und frage sie, ob sie eine Runde trainieren will.”, meinte Tara.

 

Stella richtete den Bogen auf die Zielscheibe.

“Atme ganz ruhig.”, riet ihm Noel, der mit verschränkten Armen neben ihm stand, “Versuche, die Arme nicht mitzubewegen, wenn du atmest.”

Der weißhaarige schoss, und der Pfeil traf die Scheibe ganz am Rand, so weit außen, dass er sich Sekunden später durch sein eigenes Gewicht löste und zu Boden fiel.

Stella ließ überdramatisch den Kopf hängen.

“Nicht mal mit Hilfe schaff ich diesen Schwachsinn...”, jammerte er.

“Jetzt hör schon auf, das war EIN Versuch. Man muss nicht immer alles sofort können.”, versuchte sein Freund ihn zu beruhigen.

“Das war nicht EIN Versuch! Ich habe noch nicht eine Disziplin gemeistert. Nicht eine!”, jammerte Stella weiter.

“Okay, Schluss damit. Komm, ich helfe dir. Spann den Bogen.”

Stella seufzte, gehorchte aber und legte einen Pfeil an die Sehne, bevor er sie spannte.

Während Stella sich zu konzentrieren versuchte, spürte er plötzlich Noels Hände auf seinem Oberkörper;

die eine drückte auf seinen Rücken, sodass seine Haltung sich aufrecht richtete, die andere knapp neben sein Schlüsselbein, um seine Schulter zurückzudrücken.

Noel berührte ihn kaum und der Druck war sehr sanft, doch es schien zu reichen;

der nächste Pfeil ging fast zehn Zentimeter weiter in Richtung der Scheibenmitte.

“Siehst du?”, meinte Noel leise, er stand immer noch knapp neben Stella und seine Hände lagen immer noch auf ihm.

“Versuch's nochmal.”

Stella gehorchte wieder.

Er spannte den Bogen.

Noels Hand wanderte nun von seinem Schlüsselbein zu seinem Oberarm und korrigierte seine Haltung.

“Sieh nicht auf den Pfeil.”, hörte Stella knapp neben seinem Ohr, wobei Noels Atem seine Haare streifte.

“Konzentrier dich auf das Ziel, nicht auf den Weg.”

Wenn du loslässt, darfst du den Arm nicht mehr bewegen. Und den Oberkörper auch nicht. Nur die Finger.”

Stella tat, wie Noel ihm riet, und tatsächlich; der Pfeil traf nur Zentimeter neben dem mittleren schwarzen Punkt die Scheibe.

“Yeah!!”, freute sich Stella und hüpfte kurz vor Freude, was Noels Hände abschüttelte.

Noel lächelte zufrieden.

“Geht doch.”

“Danke Noel!”

Kurz fiel Stella seinem Freund um den Hals, bevor er sich schnell wieder löste, als er realisierte, was er tat.

“Entschuldige! Ich hab nicht nachgedacht. Das war... unangebracht. Ich hab mich nur so gefreut...”

“Stella, bleib cool, ist okay.”

“...okay.”

Ein paar Sekunden vergingen in peinlicher Stille.

“Kannst du mir noch ein bisschen zusehen? Ob ich es diesmal auch hinkriege?”

Noel lächelte nachsichtig.

“Klar.”

 

“Uhm, Stella?”, meinte schließlich Noel vorsichtig, um Stella nicht zu erschrecken; der weißhaarige war gerade schwer konzentriert.

“Hm?”

“Ich glaube, Tara fühlt sich vernachlässigt.”

“?”

Stella wandte sich verwirrt um und sah, dass Noel recht hatte;

sein Mitbewohner hatte sich scheinbar genug geprügelt; Tyra war bereits verschwunden und Tara machte ein paar Dehnübungen.

“Dann gehen wir besser mal zu ihm.”, meinte Stella und sah Noel fragend an.

Als dieser dann lächelnd nickte, gingen sie los.

 

“Hast du etwa schon genug?”, fragte Noel grinsend, als sie bei Tara ankamen.

Tara zog eine gereizte Schnute, als er zu den beiden Ankömmlingen hochsah.

“Es sind immerhin schon Stunden; seht doch, die Sonne geht schon unter. Bogenschießen mag nicht so anstrengend sein, aber stundenlanges Sparring macht sehr wohl müde.”

Trotz seiner Aussage lächelte Tara schon wieder.

“Schade, du bist also zu müde zum weitermachen?”, Stella schmollte gespielt.

“Ach, Fernkampf reicht nicht? Jetzt willst du auch noch Nahkampf?”, Tara tat so, als ob er entsetzt wäre,

“Stella, wirklich. Du übernimmst dich nochmal.”

“Ach was.”, winkte Stella sofort ab.

"Hey!"

In dem Moment kam Jared in die Halle, er hatte sie entdeckt und kam grinsend näher.

"Jared, hi!", freute sich Stella, den schwarzhaarigen zu sehen; er war sicher bereit, eine Runde zu trainieren.

"...er grinst mich so komisch an...?", fragte Jared verwirrt, den Blick zu Tara und Noel gerichtet, eine feine Augenbraue hochgezogen.

Tara schüttelte schweigend den Kopf, während Noel breit grinste.

"Tara ist zu müde zum trainieren und Noel hab ich schon die ganze Zeit beim Bogenschießen gelangweilt.", erklärte Stella.

“Sparring, ja? Du scheinst dich ja schon besser konzentrieren zu können, wenn du das Wort "Bogenschießen" ohne verkniffenen Gesichtsausdruck sagen kannst. Willst du dein Glück versuchen?”, fragte Jared überheblich grinsend.

“Jederzeit!! Noel, Tara?”

“Klar. Warum nicht. Ich schulde dir eh noch etwas!”, stimmte Tara zu.

“Wofür? Was hab ich angestellt?”, Noel schien wirklich nicht zu wissen, was Tara meinte.

“Das reicht!! Auch noch vergessen oder was?! Los jetzt da rüber, wir kämpfen!”

Stella verkniff sich ein Lachen, weil er Tara nicht noch weiter auf die Palme treiben wollte.

 

Der Nachmittag wurde zum Abend, der Abend zur Nacht;

Stella schaffte es immer noch nicht, Jared zu schlagen. Noel dagegen gewann 7 zu 3 gegen Tara.

Doch dafür waren alle so fertig, dass sie sofort ins Bett fielen, kaum, dass sie ihr Quartier betreten hatten.

Samstag

 

Blinzelnd öffnete Stella die Augen.

Durchs Fenster sah er die Sonne, die bereits ziemlich hoch stand. Es musste schon Mittag sein.

Dennoch unausgeschlafen quälte sich der weißhaarige aus dem Bett und streckte sich ausgiebig.

Er spürte jeden einzelnen Muskel, besonders seine Schultern und Oberarme zogen unangenehm.

“Dämliches Bogenschießen...”, murrte Stella nebst anderen Flüchen vor sich hin.

 

“Guten Morgen Sonnenschein! Ausgeschlafen?”

Stella zuckte zusammen.

Er hatte noch nicht einmal einen Schritt aus seinem Schlafzimmer gemacht, als ihn Tara gut gelaunt und offensichtlich absichtlich zu laut begrüßte.

Stella murmelte etwas wie “Fall tot um”, bevor er im Bad verschwand, Taras Grinsen im Rücken.

 

Das eiskalte Wasser half, richtig wach zu werden, dann stellte er die Temperatur auf gerade noch erträglich heiß ein, um seine Muskeln zu lockern.

“Heiß, kalt, entscheidest du dich dann bitte mal? Wenn du mich schon nassspritzt?”

Zu Tode erschrocken fuhr Stella zusammen und versuchte vergeblich, seine Blöße mit den Händen zu verdecken, bevor er den Kopf aus der Dusche streckte.

Noel grinste ihm verschlafen aber frech entgegen.

“No-e-l!!!!!”

Schnell verzog sich der brünette aus dem Bad, denn Stella hatte einen Gesichtsausdruck, der Bände sprach;

das versprach schlimmer zu werden als Taras Wutausbruch.

Stella tapste klitschnass zur Badezimmertür und schloss ab, bevor er zurück in die Dusche ging und sich fertig wusch.

 

Als Stella, vor Wut immer noch hochroten Kopfes, das Bad verließ, sah er Noel nirgends. Er hatte sich schon zurechtgelegt, was er ihm entgegenschreien wollte.

“Tara...? Wo ist er...?”,

Der brünette verkniff sich das Grinsen über Stellas gepressten, angestrengt beherrschten Tonfall.

“Er hat die Fliege gemacht. Sagte etwas davon, dass er zu jung wäre, um schon draufzugehen.”, nun konnte der brünette sein Grinsen nicht mehr verbergen.

“Lach-nicht...!”

Immer schwerer wurde es, sich zu beherrschen, und so stapfte Stella in sein Schlafzimmer zurück, um sich umzuziehen.

Seine Bekleidung bestand bis dahin aus einem schmalen Handtuch, und das untergrub seine Seriosität.

 

Zurück im Wohnzimmer sahen ihm nun schon zwei halb grinsende Gesichter entgegen.

“Du hast kein Recht zu lachen, du bist auch ausgetickt!”, presste Stella zwischen den Zähnen hervor und stierte Tara an.

“Stimmt. Du hast recht.”, Tara war kurz davor, laut loszulachen.

Sogar der stets ernste Krad hatte ein breites Grinsen im Gesicht.

“Ach, geht doch sterben...”, murrte Stella weiter und verließ das Quartier.

Jetzt würde er sich diesen Spanner schnappen!

 

“Verfluchter Mist...”, resignierend lehnte sich Stella an die nächstbeste Wand.

Jetzt lief er sicher schon über eine Stunde im Quartierblock herum, aber er fand sein Opfer einfach nicht.

Er hätte wirklich mal fragen sollen, welches Noels Quartier war.

Aber weil seine Wut noch immer nicht verraucht war, beschloss Stella kurzerhand, gleich noch eine Runde trainieren zu gehen.

Wofür wäre das Wochenende sonst gut?

 

In der Trainingshalle angekommen, wunderte sich Stella; es war niemand da.

Es war doch inzwischen schon nachmittag, er hätte von seinen Kumpanen wirklich mehr Motivation erwartet.

Da registrierte er eine Bewegung im Augenwinkel.

Doch noch jemand motiviert?

Er sah zu der Person und erkannte Shion, den Jungen mit den eisblauen Augen, der ihn nach Chromes Attacke aufgefangen hatte.

Kurz zögerte Stella, dann ging er zu ihm.

 

“Hi!”

Shion unterbrach seine Bewegungen abrupt und sah Stella fast schon entsetzt an.

“...”

“Du warst doch gestern auch schon hier, oder?”, fragte Stella freundlich lächelnd.

“...”

“Bist wohl der fleißige Typ, was?”, versuchte Stella es weiter.

“...”

“...uhm...”

“...”

“...”

“...”

“...willst du was bestimmtes?”, nun schien Shion seine Stimme doch wiedergefunden zu haben.

“Huh? Uhm, nein, ich...”

Stella stockte.

Shions Sapphire von Augen waren gänzlich teilnahmslos, fast schon abweisend.

Das brachte Stella derartig aus dem Konzept, dass er keinen vollständigen Satz mehr herausbrachte.

“Ich würde hier gern weitertrainieren.”, rettete ihn Shion unbeabsichtigt vor seiner peinlichen Sprachlosigkeit und begab sich wieder in seine Schattenkampfhaltung.

“Ja, klar, natürlich... … !!! Hey! Würde es dir was ausmachen, mit mir zu trainieren?”

Nun sah Stella doch wieder Bewegung in Shions Augen; primär Überraschung.

“Was...?”

“Ich hab deinen Kampf gegen Kaleo gesehen. Du bist echt gut! Und ich möchte mir was von dir abschauen.”, erklärte Stella ehrlich, jedoch absichtlich auslassend, dass er in ihm seinen größten Rivalen sah.

“...das kannst du nicht.”, kam die abweisende Antwort vom Schwarzhaarigen.

Stella entgleisten unwillkürlich die Gesichtszüge.

“Wieso nicht?!”

Die Wut auf Noel in seinem Inneren machte sich lautstark bemerkbar.

“Du besitzt nicht die nötigen Fähigkeiten, um mithalten zu können. Es wäre kein fairer Kampf.”, erklärte Shion weiter, richtete sich wieder auf und verschränkte die Arme.

“Was... Wieso... Für wen hältst du dich eigentlich?!”, regte sich Stella auf, er tobte beinah und gestikulierte wild in der Gegend herum.

“Ich weiß selbst, dass ich noch nicht gut genug bin, um ernsthaft gegen dich zu kämpfen!

Deshalb wollte ich ja mit dir trainieren!

Du brauchst mir echt nicht auf die Nase binden, wie viel besser du bist!

Denkst du, ich weiß das nicht selber?!

Aber ich habe mir fest vorgenommen, stärker zu werden!

Stärker und immer stärker!

Und dann, und darauf kannst du dich verlassen...”

Stella war mit seinem Wutausbruch fertig, rümpfte die Nase und wandte sich halb zum Gehen um.

“...dann wisch ich dir eigenhändig dieses selbstgefällige Gehabe aus deinem steinernen, eiskalten Gesicht!”

Damit ging Stella endgültig, ohne auf Shions Erwiderung zu warten.

 

“Na toll. Training zum Beruhigen, tolle Idee, jetzt bin ich noch stinkiger als vorher!!”, knurrte er.

“Und was jetzt...?”

 

Resignierend kehrte Stella zurück in sein Quartier.

Niedergeschlagen schloss er die Tür hinter sich, und im nächsten Moment bereute er bereits, wieder hergekommen zu sein;

Noel lehnte am Tisch und schien auf ihn gewartet zu haben.

“...hi.”, grüßte der brünette vorsichtig und richtete sich auf, “Können wir reden?”

Stella rümpfte immer noch beleidigt die Nase, seufzte dann aber.

“Okay.”

“Setz dich bitte zu mir.”, meinte Noel und ließ sich auf einen der Stühle fallen.

“Krad sieht sich im Gebäude um, und Tara ist mit Jared losgezogen, um die Umgebung zu checken. Sie suchen eine brauchbare Bar.”

“Hm.”

“Könnte mir jetzt nicht noch mehr egal sein.”, fügte Stella in Gedanken hinzu, schwieg jedoch und setzte sich.

“Es tut mir wirklich Leid.” Noel senkte schuldbewusst den Kopf.

“Und was genau?”, fragte Stella, nicht minder wütend auf seinen Freund.

“Also erstens, dass ich dich in der Dusche überrascht habe.

Zweitens, dass ich einfach abgehauen bin.

Und drittens, dass ich dich ständig ärgere.

Es ist ehrlich keine böse Absicht, so bin ich halt.

Mir ist einfach in diesen Momenten nicht bewusst, wie sauer oder traurig dich meine Meldungen machen.

Das will ich wirklich nicht.

Wir verstehen uns doch so gut...

Ich will nicht, dass wir nicht mal mehr Freunde sein können, nur weil ich meine Klappe nicht halten kann.”

"nicht mal mehr Freunde"

Etwas an Noels Formulierung irritierte Stella.

“Du sollst doch deine Klappe gar nicht halten.”, seufzte Stella, seine Wut war plötzlich wie weggeblasen.

“Aber ich rege dich irgendwie immer nur auf.”, beteuerte Noel und senkte wieder den Kopf.

Stella musste lächeln.

“Gar nicht wahr. Weißt du noch gestern?”

“Als ob ich das vergessen könnte.”, murmelte Noel leise, kaum hörbar, und Stella war sich auch gar nicht sicher, ob er es richtig verstanden hatte.

“Okay, machen wir einen Deal. Du hältst dich von unserem Bad fern, wenn schon jemand drin ist, und behandelst mich nicht wie ein Kind, und ich werde dafür auch versuchen, nicht mehr so schnell durchzudrehen.”

Noel hob den Blick und lächelte, es schien fast aufgezwungen zu sein, doch Stella sprach ihn nicht darauf an.

“Deal.”

Noel hielt Stella den Unterarm hin, so wie an ihrem ersten Tag.

“Bis zum Abschluss und noch länger.”, wiederholte er ihren Schwur.

Stella erwiderte die Geste lächelnd.

“Und diesmal wirklich.”, fügte der weißhaarige hinzu, bevor er sich zurücklehnte.

“Wo warst du eigentlich?”, wollte der kleinere schließlich wissen.

“Ich bin in mein Quartier zurück.”

“Dacht ich mir doch.”, meinte Stella, und als Noel fragend eine feine Augenbraue hob, fuhr er fort;

“Ich hab dich im Quartierblock gesucht, aber ich wusste ja nicht, welches deines war; und ich war so sauer...”

“Wo bist du dann hin? Ich hab dich bei den Quartieren nirgends gesehen.”, entgegnete Noel neugierig.

Stella seufzte und unterdrückte die wieder aufsteigende Wut, als er an die Trainingshalle und Shion zurückdachte.

“Ich wollte trainieren gehen, um mich ein wenig zu beruhigen. Dort hab ich Shion getroffen.”

“Ist nicht wahr; hast du etwa mit ihm trainiert? Nein, warte... so lange warst du gar nicht weg.”

“Scharfsinnig... er hat mich eiskalt abblitzen lassen. Er meinte, ich wäre nicht gut genug, um mit ihm zu trainieren.”

Unwillkürlich rümpfte Stella beleidigt die Nase.

Noel unterdrückte ein Grinsen.

“Auf einmal ist er nicht mehr so toll, was?”

“Lass gut sein, Noel.”, winkte Stella ab, er wollte wirklich nicht weiter über Mister Ich-bin-zu-gut-für-euch reden.

 

Die beiden redeten weiter über alles mögliche, einen gewissen schwarzhaarigen Kollegen gewissenlich außen vor lassend, und schließlich kam Tara mit Jared und Fynn im Anhang zurück.

“Yay, ihr schreit euch nicht an!”, freute sich Jared übertrieben fröhlich, als er seine Freunde am Tisch sitzen sah.

Er und Fynn hatten natürlich schon alles von Tara erfahren.

“Das ging ja schnell.”, wunderte sich Stellas Mitbewohner.

Als ob seine eigenen Stimmungswechsel nicht ebenfalls rekordverdächtig wären.

 

Den restlichen Tag verbrachten die fünf mit viel Entspannung, ein wenig Fachliteratur und kurz übten sie sogar Magie; Tara war fest entschlossen, Stella die Zeitschrift, die er schon ewig las, mittels Mana zu klauen.

Als Revanche hatte Tara plötzlich nasse Haare, woraufhin alle beschlossen, sich in magischer Hinsicht nicht miteinander anzulegen.

Doch schließlich ging auch dieser Tag zu Ende, wie er angefangen hatte;

mit Betten, in denen zu Tode erschöpfte Auszubildende lagen.

Sonntag

 

Von den viel zu hellen Sonnenstrahlen geweckt, grummelte Stella vor sich hin und drehte sich mit dem Gesicht zur Wand.

“Nur noch fünf Minuten...”, sagte er sich gedanklich immer und immer wieder.

 

Schließlich klopfte es an Stellas Tür.

"Yo, Stella? Es ist schon total spät. Stehst du dann mal auf?"

Es war Taras Stimme, die etwas ungeduldig durch die Tür drang.

Stella murmelte eine Erwiderung, was Tara scheinbar zufriedenstellte.

Laut gähnend stand Stella aber dann doch auf, bevor er wieder gerufen wurde, und zog sich schnell um, bevor er hinaus trat.

Tara saß beim Tisch und tippte mit dem Finger ungeduldig auf die Tischplatte.

"Na endlich! Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?", wollte der brünette wissen, als er aufstand.

"Uhm, nein?"

"Es ist fast sechs."

"Morgens?!", fragte Stella, entsetzt darüber, dass ihn sein Mitbewohner so früh aufgeweckt hatte.

Daraufhin fing Tara an zu lachen.

"Du bist ja total schräg drauf! Sechs Uhr abends, Schlafmütze!"

"Ah."

"'Ah'? Das ist alles?", seufzte Tara, "Naja. Mach dich mal fertig, Jared wartet schon."

"Wo?"

"In der Bar, die wir gestern gefunden haben."

"Ah."

"Wahnsinnig gesprächig, Stella... Los jetzt."

"Yessir!"

Damit verschwand Stella im Badezimmer, wenn auch nur, um kurz Ruhe vor Tara zu haben.

 

"Hier, bitte."

Der junge Mann mit den feuerroten Haaren stellte lächelnd die Getränke auf den Tisch.

Stella erinnerte sich, dass er sich als Agni vorgestellt hatte.

Es waren wiedermal ziemlich viele Leute versammelt;

Gleich neben Stella saß Noel, dann Jared, Tyra, Eve, Lucy und Tara.

Am Kopfende des Tisches saßen Shaiya, Nel, die rothaarige Verteidigerin aus Shions Fußballmannschaft, gleich neben Rue, dann noch Hervey, Akihiko und Fynn.

Stella gegenüber saßen Ryan und die junge Frau, gegen die er gekämpft hatte; er stellte sie als Yuina vor.

Neben den beiden saßen Zack und Luca.

Am Rand hatten sich Tray, dessen Quartierkollege Travis und Catherine hingesetzt.

Sie hatten wirklich Glück gehabt, dass es überhaupt so einen großen Tisch in dem Lokal gab.

Er war auch nicht weit von der Theke entfernt, sodass ihre Getränke nicht lange dauerten.

"Hier gefällt es mir!", freute sich Hervey schelmisch grinsend.

"War ja klar.", gab Tray zurück.

"Huh?", wunderte sich Stella, der Tray gegenüber saß.

"Wir sind Quartiernachbarn. Und die da drüben haben's gern laut.", erklärte der grünhaarige Tray.

"Allerdings.", stimmte Travis zu, woraufhin Stella ihn fragend ansah.

"Wir wohnen zusammen.", erläuterte der braunhaarige und deutete auf Tray.

"Ach?"

Stella wurde klar, wie wenig er noch über seine neugewonnenen Freunde wusste.

Er beschloss, das noch an diesem Abend zu ändern.

 

Stunden vergingen, und Stella fragte so viele seiner Freunde wie möglich darüber aus, mit wem sie zusammenwohnten, was für Clubs sie besuchten, und in welchen Gebieten sie besonders talentiert waren.

Es war wahnsinnig aufschlussreich für den weißhaarigen.

Während sie redeten, schweifte Stellas Blick durch die Bar;

und er entdeckte am Tresen Kira sitzen; daneben den silberhaarigen Jungen, gegen den er am Vortag gekämpft hatte.

Und um die Ecke saß Shion.

In dem Moment, als Stella ihn entdeckte, sah er auf; ihre Blicke trafen sich.

Sapphire auf Emeralden.

Im nächsten Augenblick verzog Stella das Gesicht und wandte den Blick ab.

"Stella? Alles okay?", wollte Noel sofort wissen, woraufhin auch Yuina ihn fragend ansah.

"...ach, schon gut. Dort drüben sitzt nur Mister Ich-bin-zu-gut-für-euch.", murmelte Stella.

Yuinas Blick ging kurz zu Shion, dann wieder zurück zu Stella; dann lächelte sie nachsichtig.

"Mister Ich-bin-zu-gut-für-euch, ja? Warum das?", wollte die schwarzhaarige wissen.

Stella seufzte, bevor er ihr eine kurze Zusammenfassung von dem Vorfall gab.

Yuinas Lächeln verschwand und sie bekam einen ernsten Gesichtsausdruck.

"Du darfst nicht so streng mit ihm sein."

Stella musterte sie irritiert.

"Ich und Luca sind seine Zimmernachbarn. Luca hält sich ja genauso zurück wie er, aber manchmal wechseln wir schon ein paar Worte."

"Seid ihr... Freunde?", wollte Stella wissen.

Yuina stockte, dann lachte sie.

"Kann ich euch noch was bringen?"

Eine Stimme unterbrach ihr Gespräch.

Diesmal war es Agnis Kollege mit den langen, dunkelblauen Haaren, der am Tisch stand.

"Noch eine Runde?", fragte Noel in die Runde.

Die meisten nickten.

"Na dann; noch eine Runde, bitte!"

"Ihr dürft gerne öfter mal vorbeischauen. Ihr seid von der Thanatos, oder?", der Kellner lächelte freundlich.

Bevor auch nur irgendjemand antworten konnte, rief Agni nach seinem Kollegen;

"Rudra!! Beweg deinen Hintern zurück, ich hab hier alle Hände voll zu tun!"

Der blauhaarige, offensichtlich hieß er Rudra, zuckte die Schultern und machte sich auf den Weg zurück zur Bar.

Stella sah ihm kurz grinsend nach.

Die beiden waren lustig.

 

Montag

 

Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, war Stella heilfroh, entgegen der vorherrschenden Meinung doch schon früh zurückgegangen zu sein.

Ziemlich ausgeschlafen streckte sich Stella, bevor er aufstand.

Wie erwartet war er allein im Aufenthaltsraum.

Tara waren noch im Lokal geblieben, als Stella bereits nach Hause gegangen war, und Krad war ja nicht unbedingt dafür bekannt, herumzusitzen und auf irgendjemanden zu warten.

Stella grinste und ging duschen.

 

Als er aus dem Bad trat, war immer noch niemand wach.

Kurz klopfte er bei seinen beiden Mitbewohnern und teilte ihnen die Uhrzeit lautstark mit, bevor er sich umziehen ging.

Als er fertig zum Aufbruch zurück in den Aufenthaltsraum kam, war von den beiden immer noch keine Spur.

Um sie davor zu bewahren, zu spät zu kommen, klopfte er nochmals.

Dann steckte er den Kopf in Taras Schlafzimmer.

Das Bett war gemacht. Es sah nicht aus, als ob er überhaupt einen Fuß hinein gesetzt hatte.

Verwirrt schloss Stella die Tür hinter sich und lugte dann in Krads Zimmer;

er hatte zwar offenbar in seinem Bett geschlafen, war aber bereits aufgebrochen.

"Huh."

Als Stella in die Klasse kam, stellte er erleichtert fest, dass seine Mitbewohner bereits da waren.

Er setzte sich zu Noel und musterte Tara.

"Yo, Morgen."

"Guten Morgen."

Noel sah Stellas Blick.

"Was ist?"

"Du bist doch gestern auch noch geblieben, oder?"

"Ja~?"

"Was hat Tara getrieben?"

"Wieso?"

"Er ist nicht ins Quartier zurückgekommen. Wo hat er wohl geschlafen?", wunderte sich Stella.

Noel grinste.

"Warum grinst du so...?"

Noel grinste bloß weiter.

"O~h. Wen hat er aufgerissen?"

"Mich.", kam plötzlich von der Seite.

Stella wandte sich um und sah neben Noel ein weiteres breit grinsendes Gesicht; Fynns.

Dem weißhaarigen mussten wohl die Gesichtszüge entgleist sein, denn sowohl Noel als auch Fynn begannen gleichzeitig zu lachen.

"Bleib cool.", meinte Noel, und Stella meinte, etwas enttäuschtes in seiner Stimme gehört zu haben.

"Unser Quartier ist näher an der Treppe, und Tara... naja. Er hat ein bisschen zu tief ins Glas geschaut. Er hat es einfach nicht mehr zu euch geschafft.", erklärte Fynn, immer noch grinsend.

"Fynn! So betrunken war ich auch wieder nicht!"

Stella zuckte zusammen, als ihm klar wurde, dass wieder einmal ein Wutausbruch à la Tara bevorstand.

Der Brünette saß vor Fynn und schaukelte mit dem Stuhl zurück, um sich einzumischen.

"Ach? Dann erklär mir doch mal, warum du mich fast schon genötigt hast, mein Bett mit dir zu teilen?", wollte Fynn wissen, unbeeindruckt vom vor Wut rot angelaufenen Tara.

Tara öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber eine Sekunde später wieder, das ganze noch einmal und ein drittes Mal.

Fynn kicherte.

Endlich fand Tara seine Sprache wieder, diesmal jedoch definitiv kleinlaut.

"Als ob ich quengeln hätte müssen...! Du hast mich ja fast schon hineingezerrt."

Fynn erntete eine hochgezogene Augenbraue von Stella.

"Ach ja?", stichelte der weißhaarige weiter.

"Guten Morgen."

Fynn schien mehr als erleichtert, dass in dem Moment Valerie den Raum betrat und das Gespräch damit beendet war.

Man merkte, dass die Probezeit vorbei war; Valerie gab ganz schön Gas.

Es tauchten die ersten Probleme auf, besonders bei offensichtlich lernschwächeren Personen wie Chrome oder Lucy.

Stella tat sich zwar auch nicht unbedingt leicht, doch er schaffte es im Gegensatz zu den meisten anderen, den Faden nicht zu verlieren.

 

Nach der Mittagspause ging jeder zu seinem Club;

Stella und Tara machten sich auf den Weg zur Trainingshalle, zum Fußball.

Ryan grüßte fast schon übertrieben enthusiastisch, als die beiden zu ihren Mitspielern kamen.

Stella entdeckte Shion, und der ältere sah auch zu ihm.

Kurz starrten sie sich wieder an, bevor Zack sie unterbrach, indem er orderte, dass sie sich aufstellen sollten.

 

Beide Mannschaften waren in Position. Stella sah zu Tara.

Er wirkte überhaupt nicht angespannt, im Gegensatz zu dem weißhaarigen, und schien es kaum noch erwarten zu können, loszulegen.

Als er den Blick bemerkte, lächelte Tara und streckte den Daumen nach oben.

Zack warf eine Münze und entschied daraufhin, dass Team Rot Anstoß haben sollte.

Ryan spielte den Ball zu Shion, und ohne zu zögern steuerte dieser sofort auf Rue zu.

Er ließ Stella einfach stehen, spielte um Tara herum, täuschte direkt vor dem Tor mit rechts an, sodass Rue sich bereits in Bewegung setzte, zog dann aber den anderen Fuß nach und schoss in die andere Richtung.

Chrome und Kaleo machten ein High-Five, und selbst Shion ballte kurz die Faust vor der Brust, zufrieden, bevor er zurück in seine Hälfte des inzwischen markierten Feldes ging.

"Eins zu Null", verkündete Zack, selbst voller Freude.

Tara ballte ebenfalls die Faust; er konnte es nicht leiden, zu versagen.

Stella bekam den Ball und spielte ihn weiter zu Tara. Der setzte kurz den Fuß auf den Ball;

Chrome und Kaleo kamen auf ihn zu; unwillkürlich hatte er das Bild einer Dampfwalze vor sich.

Stella war inzwischen an Shion vorbeigekommen und riss die Hand hoch, um Tara ein Zeichen zu geben.

Sein Mitbewohner spielte einen langen Ball, den der weißhaarige mit der Brust annahm.

Schon stand die rothaarige Nel vor ihm.

Er wollte zu Tara zurückspielen, aber Shion stand im Weg.

Akihiko rief nach ihm, und Stella setzte zu einem hohen Schuss an.

Shion versuchte, den Ball mit dem Kopf abzufangen, doch der Ball flog trotz seines Sprungs über ihn hinweg.

Als Akihiko nach vorne lief, kam wieder die Dampfwalze, nur diesmal mitsamt Shion zur Verstärkung.

Akihiko spielte zum äußeren Feldrand zu Shiro, dem anderen weißhaarigen im Team, der den Ball gleich nach vorne brachte. Jetzt stand nur noch Koichi im Weg, der rothaarige, kleine Junge, der kaum danach aussah, als würde er an eine Kampfakademie gehören. Sobald Koichi einen Schritt auf ihn zumachte, spielte Shiro ihm zwischen den Beinen durch, lief um ihn herum und schoss in die Ecke des Tores, knapp unter der Latte. Zack kam nur mit den Fingerspitzen ran und konnte ihn nicht halten.

Jubelnd lief Shiro quer über den ganzen Platz, die Arme in der Luft.

Tray gratulierte ihm lächelnd.

 

Das Spiel ging weiter, und jeder stellte fest, dass sie alle ziemlich gut waren.

Kurz vor Ende der zweiten Halbzeit stand es 3:2 für Team Rot, und sie hatten ihre Abwehr so dichtgemacht, dass es kein Durchkommen mehr gab.

"Verdammt, das ist so unfair...!", jammerte Stella und sah Akihiko mit großen Augen an.

"Nimm's nicht so ernst, sie haben nur Angst. Jetzt pass gut auf! Die nächste Chance könnte die letzte sein!"

 

Zack warf ein und Akihiko schnappte sich sofort den Ball, nur um ihn zu Stella zu passen.

Was er nicht gesehen hatte, war, dass Shion bereitstand und nur darauf wartete, dem kleineren den Ball abzunehmen.

In einer einzigen, flüssigen Bewegung hatte Shion den Ball geklaut und lief nun auf Rue zu.

Stella reagierte sofort und sprintete hinterher.

Shion bemerkte ihn und wollte bereits schießen, bevor der jüngere bei ihm ankam, doch er hatte Stellas Geschwindigkeit unterschätzt;

Beide trafen den Ball im selben Moment, doch Shion hatte einfach mehr Kraft.

Der Quetschball sprang in die Luft und landete dann direkt vor Akihiko.

Er lief zum gegnerischen Tor und versenkte den Ball, da alle anderen noch vom Duell abgelenkt waren.

Akihiko warf die Hände in die Luft und hatte ein breites Grinsen im Gesicht;

bis er sich umdrehte.

Stella lag am Boden und stöhnte vor Schmerz.

Shion hockte neben ihm, scheinbar unsicher, was er tun sollte.

Sofort liefen sämtliche Spieler zu ihm, abgesehen von Chrome, der die Arme verschränkte und sich wohl ärgerte, dass das Spiel nicht weiterging.

 

"Stella...? Kannst... du aufstehen?", fragte Shion zurückhaltend, als wüsste er nicht, was er sagen sollte.

Nachdem er aus Stella nichts anderes als Stöhnen und leise Flüche herausbrachte, versuchte er, ihm den Schuh auszuziehen. Stella schrie laut auf.

Im selben Moment wurde Shion an der Schulter gepackt und weggezogen, bevor Tara sich neben seinen Mitbewohner hockte. "Weg da!", schimpfte er.

"Ich wollte ihm nur helfen. Er scheint große Schmerzen zu haben.", rechtfertigte sich Shion, und wusste im nächsten Moment nicht mehr, warum. Als ob er dem Kleinen eine Erklärung schuldete.

"Das sehe ich selber!", fuhr Tara den größeren an, bevor er Stella leicht gegen die Wange schlug, "Hey Kleiner, mach keinen Mist! Ich zieh dir jetzt den Schuh aus. Setz dich auf."

Stella versuchte, der Anweisung zu folgen, und setzte sich mühsam auf.

Vorsichtig öffnete Tara die Schnürsenkel und öffnete den Schuh so weit er konnte, bevor er versuchte, ihn langsam vom Fuß zu drehen.

Stella biss sich auf die Lippe, dass diese blutete, um nicht zu schreien.

Als auch die Socke ab war, sog Tara die Luft scharf durch die Zähne ein.

"Verdammt... das sieht echt übel aus."

Stellas Knöchel war bereits stark geschwollen und färbte sich langsam violett.

"Ihr solltet auf jeden Fall zu Dr. Cress gehen.", kam plötzlich der Kommentar von Zack, der auch endlich bei dem Verletzten angekommen war.

Tara stand auf und starrte Shion mit bösem Blick an.

"Hilf mir mal. Wir müssen ihn irgendwie dorthin kriegen."

Beide nahmen einen Arm von Stella und zogen ihn hoch, bevor sie sich den Arm um ihre Schultern legten.

So stützten sie den weißhaarigen, der plötzlich gar nichts mehr von sich gab, und brachten ihn zu Dr. Aki Cress ins Lazarett.

 

Als er ohne Um- und Unfälle auf einem der Krankenbetten platzgenommen hatte, ließen ihn die beiden jungen Männer los.

"Danke.", sagte Stella zu Tara gewandt. "Und dir auch.", ergänzte er und sah Shion an.

"War ja auch meine Schuld.", erwiderte Shion in seinem typischen, teilnahmslosen Ton, bevor er die Krankenstation wieder verließ.

"Sieht nach einer Verstauchung aus. Aber gebrochen ist glücklicherweise nichts. Wie hast du denn das hinbekommen?", fragte Dr. Cress.

"Pressball beim Fußball.", erklärte Stella.

"Dein Gegner muss ja ganz schön Kraft haben.", spekulierte die Ärztin.

"Oder einer, dem es egal ist, ob er seinen Gegner verletzt.", knurrte Tara mit verzogenem Gesicht.

Stella sagte nichts dazu. Er war stinkwütend auf Shion. Er war ein arroganter, auf alle herabsehender Mistkerl.

Aber... nach dem Vorfall eben...

Er war nicht arrogant, nicht herablassend gewesen. Er hatte sofort reagiert, während Akihiko das Tor machte und die anderen nur blöd geschaut hatten. Niemals hätte Stella das von ihm erwartet.

Dr. Cress gab ihm ein paar Krücken und strenges Verbot von Fußball und jeglichem körperlichen Training, bis Ende der folgenden Woche, und danach durfte er eine ganze Weile nur Fernkampf trainieren.

 

Tara brachte Stella in ihr Quartier.

"Ich schätze zwar, dass das Training gelaufen ist, aber ich geh trotzdem zurück.

Die Meute mit Infos füttern.", meinte Tara, der inzwischen wieder ein halbherziges Grinsen zustande brachte.

"Brauchst du irgendwas außer den Drogen, die Frau Doktor dir verschrieben hat?"

Stella lächelte und tapste zum Küchentisch.

"Nein, danke. Ich werd nur ein bisschen lesen und mich dann hinlegen.", meinte Stella.

Er wusste jetzt schon, wie langweilig die nächsten Tage sein würden.

"Okay. Bis später dann. Brav sein!"

"Als ob ich irgendwas anstellen könnte mit den Dingern.", murrte Stella und wedelte mit einer Krücke vor Taras Nase herum.

Der brünette lachte kurz auf, bevor er aufbrach.

Stella starrte noch eine Weile die geschlossene Tür an, bevor er den Blick schweifen ließ.

Am Morgen noch ein gemütlicher Rückzugsort, am Nachmittag ein Gefängnis.

Das versprachen wirklich ein paar sehr lange Tage zu werden.

Trotz Taras Spekulation, dass das Training gelaufen wäre, kamen er und Krad zeitgleich erst am Abend wieder.

"Da ist ja unser Patient!", wurde Stella von Tara begrüßt.

"Hey.", grüßte Stella lächelnd zurück. Er lag auf der Couch, einen ganzen Stapel an Fachliteratur am Boden und eines in seinen Händen.

"Viel weitergebracht?", fragte Krad und sah auf den Stapel Magazine.

"Was hätte ich sonst den ganzen Nachmittag gemacht?" Stella war leicht genervt.

Ihm war wirklich stinklangweilig gewesen.

"Du solltest dich besser zum Tisch setzen.", riet Krad.

"?"

"Es könnte sein, dass mir was rausgerutscht ist.", gestand Tara.

"Und was bitte?", fragte Stella verwirrt nach, kam aber dem Ratschlag nach und hievte sich auf seine Krücken, um sich an den Tisch zu setzen.

"Dein kleiner Unfall beim Fußball. Also werden in etwa drei Minuten Noel, Lucy, Jared, Fynn und Tyra hier sein."

In dem Moment klopfte es ungeduldig an der Tür.

"Drei Minuten verschätzt?", meinte Krad grinsend und öffnete die Tür.

Ohne ein Wort zu sagen drängten sich Noel und Lucy an ihm vorbei und stellten sich vor Stella, mit weit aufgerissenen Augen und besorgtem Gesichtsausdruck. Tyra und Jared kamen nach ihnen, grüßten Tara und stellten sich mit Respektsabstand zu Stella; nachdem Lucy und Noel ihn total belagerten.

Fynn lachte über die Art seiner Freunde, trat auch ins Quartier, damit Krad die Tür schließen konnte, und gesellte sich zu Tara, um ihn mit einem kindlichen Gruß aus mehreren Handbewegungen zu begrüßen.

"Wie ist denn das passiert?", wollte Lucy wissen und fixierte den Verband um Stellas Fuß.

"Geht es dir gut? Tut es weh?", fragte Noel und legte Stella beruhigend eine Hand auf den Oberarm.

Stella lächelte über die Besorgnis seiner Freunde.

"Mir geht es gut, stresst euch nicht so. Der Schmerz ist schon gar nicht mehr so schlimm."

"Auch nur weil du Drogen bekommen hast.", grinste Tara.

"Was hat sie dir verschrieben? Doch nichts was dich total in die Welle wirft, oder?"

Noel schien fast entsetzt.

"Nein, es macht nur meine Nervenenden im Fuß stumpf. Deshalb spüre ich ihn kaum."

Im nächsten Moment schrie er auf.

Lucy hatte sich neben ihn gehockt und mit dem Finger auf den Knöchel gestupst.

"Au! Lass das! Das tut doch weh!", schimpfte er und stöhnte noch einmal, um den Schmerz unter Kontrolle zu bringen.

"Du hast doch gesagt du spürst ihn kaum!", jammerte Lucy, offensichtlich mit schlechtem Gewissen.

"Solange niemand daran herumtatscht!", gab Stella zurück und atmete ein paar Mal tief durch, bis der Schmerz endlich wieder nachließ.

"Also, was ist passiert?", fragte Jared und lehnte sich an den Tisch, mit verschränkten Armen.

Er sah aus wie ein Anwalt, der einen Zeugen verhört, der ihm den Mörder überführen könnte.

"Es war einfach ein Unfall. Wir haben beide gegen den Ball getreten und ich habe verloren."

"Das kann doch nicht einfach nur getreten gewesen sein. Von einfach treten sieht ein Knöchel nicht so aus.", kommentierte Tyra, bevor sie und Jared sich auf die Couch setzten, an das Ende, das näher beim Tisch war.

"Dem Kerl war es einfach egal, ob er ihn verletzt. Ich wette, er hat mit voller Kraft draufgezielt.", meinte Tara beschuldigend.

"Das glaube ich nicht.", entgegnete Stella leise.

"Huh? Du verteidigst den Kerl, der dich verletzt hat?!", regte sich nun Noel auf.

Er sah aus, als ob er gleich losrennen würde, um den Schuldigen zu erwischen.

"Hey Leute, beruhigt euch mal! Es ist halt ein Vollkontakt-Sport, da passiert sowas schon mal!

Er wollte den Ball, ich wollte den Ball. Ich hab einfach nur verloren. Deshalb war das noch lange keine böse Absicht."

Stella versuchte, seine Freunde wieder ein bisschen von ihrem Anfall runterzuholen.

"Ach komm schon!", mischte sich jetzt Lucy ein, "Er hat doch mit voller Kraft getreten, oder? Das geht nicht unabsichtlich."

"Vielleicht wollte er einfach nur schnell schießen, bevor Stella bei ihm angekam?", spekulierte Tyra.

"Wieso sollte er sowas feiges tun?", fragte Jared und stützte den Kopf auf eine Hand.

"Um eben sowas zu verhindern?", führte Tyra ihre Spekulation fort.

"Ich glaube nicht, dass ihn das schert.", maulte Tara.

"Wieso nicht?", wollte Lucy wissen.

"Hast du seinen Kampf nicht gesehen? Den gegen... wie heißt er... Kaleo?", warf Noel ein,

"Er hat ihn rücksichtslos davongeschleudert."

"Das hat Chrome mit mir auch gemacht.", meinte Stella kleinlaut.

"Ja, aber Chrome ist auch irre.", schob Tara Stellas Einwand einfach beiseite.

"Offenbar ist Shion dann auch irre.", sagte Lucy, sie meinte es eigentlich als Scherz, doch sofort stiegen alle darauf ein; außer Stella und Tyra.

Das Geschimpfe ging los, und Stella schaltete einfach auf Durchzug, weil er mit den Gegenargumenten nicht mehr mitkam; und auch nicht mitkommen wollte.

 

Es dauerte lange, bis sich die anderen wieder verabschiedeten.

Stella freute sich zwar über ihren Besuch, aber die permanente Schimpferei über Shion störte ihn.

Klar war Stella immer noch stinkig auf den älteren.

Aber Shion hatte versucht, sich um ihn zu kümmern.

Er hatte sich gesorgt.

Durch diese eisigen Sapphire hatte Stella sie gesehen.

Die Sorge. Und auch die Schuld.

Selbst als Stella im Bett lag, mit einer neuen Ladung der Schmerztabletten, und krampfhaft versuchte, den Schmerz im Fuß einfach auszublenden, verfolgte ihn dieser schuldbewusste Blick von Shion.

 

Dienstag

 

Am nächsten Morgen erwachte Stella durch Lärm aus dem Aufenthaltsraum.

In Shorts und T-Shirt öffnete er seine Schlafzimmertür.

Zuerst sah er nur Tara, der wild gestikulierte und herummeckerte, fast schon herumschrie.

Krad stand mit verschränkten Armen neben ihm.

Die Quartiertür war offen, aber Stella sah nicht an seinen Mitbewohnern vorbei, sodass er nicht erkennen konnte, wen sie so niedermachten.

Stinkwütend schlug Tara die Tür zu.

"Unglaublich!", regte er sich auf.

"Sowas von dreist.", stimmte ihm Krad nickend zu.

"Was ist denn hier los?", wollte Stella wissen und sprang auf einem Fuß bis zum Tisch, um sich dorthin zu setzen.

Seine Mitbewohner beobachteten ihn aufmerksam.

"...nichts.", erwiderte dann Tara und ging zur Küchenzeile.

"Was machst du? Das ist mein Revier.", meinte Stella irritiert.

"Du bist verletzt. Es wäre unfair, wenn wir dir weiterhin den Küchendienst überlassen würden.", erklärte der brünette weiter, während er seinem Mitbewohner einen Teller mit leicht angekokeltem Toast und ein Glas Nutella hinstellte.

Stella hatte daraufhin einen Gesichtsausdruck, als hätte Tara plötzlich Flügel bekommen.

"Frühstück...?"

"Du bist verletzt.", wiederholte Tara mit einem leichten Lächeln und zuckte die Schultern.

"Wir müssen los.", erinnerte Krad.

"Richtig. Sorry Stella. Nahkampf. Du wirst wohl den ganzen Tag allein sein müssen. Wir schauen mittags vorbei und bringen dich in die Cafeteria, okay?"

Stella lächelte. "In Ordnung."

Den Vormittag verbrachte Stella damit, Magie zu üben.

Magazine mittels Mana stapeln, ausbreiten, sortieren, und wieder stapeln.

Dann versuchte er, während er am Tisch saß, seinen Teller in der Spüle mit Cryas abzuwaschen. Das war schon viel schwerer, doch Stella hatte ja Zeit. Er versuchte es solange, bis es klappte.

Er machte große Fortschritte; seine Konzentrationsfähigkeit stieg mit jedem Versuch.

Danach war er aber ziemlich erschöpft von der vielen Magie und musste erstmal ein Nickerchen machen.

 

Tara und Krads Rückkehr weckte den weißhaarigen.

"Yo, du schläfst schon wieder?", neckte Tara seinen Mitbewohner.

"Ist wahrscheinlich besser so.", meinte Krad schelmisch lächelnd, eine Seltenheit bei ihm.

"Richtig. Sonst machst du noch Blödsinn und verzögerst deine Heilung.", stimmte Tara grinsend zu, meinte es aber offensichtlich ernst.

"Ach hört schon auf.", murrte Stella, noch verschlafen.

"Also, gehen wir essen. Willst du dich umziehen?", grinste Tara.

"Eigentlich schon.", erwiderte Stella mit hochgezogener Augenbraue. Als ob er in Shorts und Shirt in die Cafeteria gehen könnte.

 

Nach dem Essen blieben seine Mitbewohner noch eine Weile bei Stella, doch dann mussten sie zum Clubtraining.

Wieder war Stella allein.

 

Er beschloss, nochmal Magie zu üben, und ließ alles mögliche mit Mana schweben.

Er war gerade dabei, eine Kaffeetasse von der Küchenzeile zum Tisch zu bewegen, als es an der Quartiertür klopfte, was seine Konzentration störte; die Tasse fiel zu Boden und zersprang in duzende kleine Keramikscherben.

"Verdammt...!", knurrte Stella, hievte sich auf seine Krücken und tapste zur Tür, um sie zu öffnen.

"...hallo."

"Shion? Uhm, hey."

Perplex stand Stella sprachlos in der Tür, den größeren anstarrend.

"Kann ich reinkommen?"

Shion klang seltsam zurückhaltend.

Und Stella sah immer noch die Schuldgefühle in seinen eisblauen Augen.

"Uhm, sicher."

Stella hopste zur Seite, aufmerksam verfolgt von Shions ernstem Blick;

Shion trat langsam ins Quartier und Stella schloss die Tür hinter ihm.

"Ohne abweisend klingen zu wollen, aber...", begann Stella.

"Ist dir die runtergefallen?", unterbrach ihn Shion und sah auf die Scherben.

"Ich hab versucht, sie mit Mana von dort hier rüber schweben zu lassen, aber dein Klopfen hat mich unterbrochen."

"Du solltest dich nicht so leicht ablenken lassen.", meinte Shion nur, während er die Hand auf Hüfthöhe vor sich hob und die Scherben mittels Mana zusammentrieb, hochschweben ließ und neben der Spüle zu einem geordneten Haufen formte.

Stella ignorierte den besserwisserischen Kommentar, weil er keine Lust auf einen Streit hatte, und hopste wieder zu seinem Stuhl. Seufzend ließ er sich darauf fallen.

Es fiel ihm immer noch schwer, längere Zeit zu stehen.

Das zog Shions Aufmerksamkeit wieder gänzlich auf den weißhaarigen.

Der ältere musterte ihn schweigend.

"...was ist mit deinem Fuß?"

"Verstaucht. Wird schon wieder.", antwortete Stella knapp.

Shion schwieg dazu.

Dann kniete er sich kommentarlos vor Stella und griff nach dessen Fuß.

Stella zuckte zurück.

"Was machst du?", fragte er irritiert.

"Halt still.", orderte Shion nur anstelle einer Antwort, und nahm dem jüngeren den Verband ab; mit einer derartigen Vorsicht, als würde er ein Paket mit einer unbezahlbaren Kristallvase öffnen.

Er legte seine rechte Hand auf den tiefvioletten Knöchel, federleicht, Stella spürte ihn kaum, und es tat nicht weh.

"Sagst du mir bitte, was du da machst?"

Stella begann ungeduldig zu werden.

Und er war immer noch sauer auf den älteren; nicht wegen seinem Fuß, das war ein Unfall gewesen;

wegen der Art, wie er ihm das Training verwehrt hatte.

"…"

"Shion?"

Der Blick von Shion war unidentifizierbar. Stella musterte das Gesicht des schwarzhaarigen aufmerksam, doch er konnte einfach nichts daraus schließen.

"Kannst du mir nicht einmal eine vernünftige Antwort geben...?", murmelte Stella.

Shion sah unvermittelt auf, offensichtlich überrascht von Stellas leicht enttäuschter Tonlage.

Er blinzelte ein paar Mal, dann richtete er seinen Blick zurück auf den Knöchel.

Und er schwieg weiter.

Plötzlich sah Stella ein blasses, grünliches Leuchten von Shions Hand ausgehen, das auf seinen Fuß überging.

Im gleichen Moment wurde der Schmerz weniger, die Schwellung ging etwas zurück und die violette Färbung verblasste ein wenig.

Shion zog die Hand zurück und richtete sich auf, immer noch vor Stella auf den Knien.

"Wow...", entkam es Stella beeindruckt, "Was war das? Was hast du gemacht?"

"..."

"Shion."

Der ältere sah ihn an.

"Warum bist du hergekommen?"

"…"

"Hast du dir Sorgen gemacht?"

"…"

Shion und Stella sahen sich an, schweigend.

Emeralde auf Sapphiren.

Stella bekam aber keine Antwort, und plötzlich stand Shion ruckartig auf.

"...gute Besserung."

Und schon war Shion weg und die Tür schlug hinter ihm zu.

Perplex starrte Stella die geschlossene Tür an.

Er war hergekommen. Er hatte ihn geheilt. Und offensichtlich hatte er sich wirklich Sorgen gemacht.

Stella lächelte unwillkürlich.

Am Abend kamen Krad und Tara zurück.

Sie blieben in der Tür stehen, als sie Stella im Quartier herumwuseln sahen;

er räumte auf, lief herum, trug Sachen herum;

und er benutzte keine Krücken.

"Stella...?", begann Krad.

"Hast du dir zuviel von den Tabletten eingeworfen?", spekulierte Tara und verschränkte grübelnd die Arme.

Stella wuselte weiter, als er ihnen ein kurzes Lächeln zuwarf.

"Nein, ich habe heute nachmittag keine einzige gebraucht.", erklärte er und schüttelte die Kissen auf der Couch auf.

Krad und Tara wechselten einen verwirrten Blick.

"Und... tut dein Fuß nicht weh?", wollte Krad wissen.

"Eigentlich fast gar nicht mehr."

"Seit wann?", grinste Tara, es war eine rhetorische Frage und eigentlich als Scherz gemeint.

"Seit Shion hier war.", entkam es Stella.

"WAS?!"

Von Taras Ton erschreckt hielt Stella inne.

"Was 'Was'?"

"Shion war hier?", fragte Krad nach.

"Uhm, ja?"

"Was fällt dem ein?!", Tara war wieder in einem seiner Wutausbrüche, "Der kapiert auch gar nichts! Ich dachte wir hätten ihm begreiflich gemacht, dass er sich verdammt noch mal von dir fernhalten soll!"

"Man will doch meinen, dass jemand wie er sowas schnallt.", stellte sich Krad auf Taras Seite, wenn auch weit weniger hysterisch.

"Hey Leute...? Worum geht es hier? Von mir fernhalten?" Stella trat näher zu seinen Mitbewohnern.

Tara stapfte wütend im Kreis, also sah Stella zu Krad.

"Shion war heute morgen hier und wollte zu dir. Und wir haben ihm sehr deutlich gesagt, dass er das lassen soll."

"Ihr habt ihn verjagt?"

Plötzlich machte das Bild vom Morgen in Stellas Kopf einen Sinn.

"Er hat dich verletzt!", schimpfte Tara, der nun nur noch mit einem Fuß stampfte und nicht mehr im Kreis lief.

Stella war kurz sprachlos.

Er versuchte angestrengt, nicht ebenfalls hysterisch zu werden, und sortierte seine Gedanken, bevor er den Mund öffnete.

"Es war ein Unfall, Tara. Er hat das nicht absichtlich gemacht."

"Ein Unfall? Woher willst du wissen, dass es keine Absicht war? Hat Shion das behauptet?"

Aus Taras Mund klang Shions Name wie ein Schimpfwort.

"Er hat gar nichts dazu gesagt."

"Woher willst du das dann wissen? Nachdem er Kaleo durch die Luft geworfen hat und dich wie ein inkompetentes Kind behandelt hat, verteidigst du ihn jetzt?!", regte sich Tara auf.

Es wurde immer schwerer für Stella, ruhig zu bleiben.

"Ich hab es in seinen Augen gesehen."

Tara stockte in seinem Anfall.

"In seinen Augen?", fragte Krad skeptisch nach.

"Da war Sorge. Und Schuld."

"Er war ja auch Schuld!", schimpfte Tara weiter.

"Aber das heißt, dass es keine Absicht war. Wenn es absichtlich gewesen wäre, hätte er jetzt kein schlechtes Gewissen.", versuchte Stella es mit Logik.

"Der Typ hat doch gar kein Gewissen.", murrte Tara.

"Okay, wisst ihr was? Ihr müsst es nicht verstehen."

Das brachte Tara wundersamerweise wieder runter.

"Huh?"

Stella setzte sich an den Tisch.

"Er war hier und hat meinen Fuß geheilt. Deshalb geht es mir wieder so gut. Fragt mich nicht, wie er das gemacht hat, aber er hat es geschafft, dass ich wieder normal gehen kann, und dass ich die blöden Krücken nicht mehr brauche. Ich hätte ohne ihn sicher über eine Woche gebraucht, bis ich meinen Fuß überhaupt wieder irgendwie belasten hätte können."

"Ohne ihn hättest du dich gar nicht erst verletzt.", warf Krad ein.

"Ihr könnt von ihm halten was ihr wollt. Ich bin selber noch wütend auf ihn. Aber er hat sich gesorgt und meinen Fuß wieder heil gemacht. Ich wäre euch sehr dankbar, wenn ihr nicht Leute verjagt, die sich Sorgen um mich machen."

"...wenn du darauf bestehst.", murrte Krad.

"Entschuldige. Es geht uns ja nichts an, mit wem du dich triffst.", fügte Tara schuldbewusst hinzu.

"Danke. Also, habt ihr Hunger? Ich hab Auflauf gemacht."

Mittwoch

 

Am nächsten Tag ging Stella viel zu früh los, um Dr Cress zu informieren, dass es ihm besser ging.

Mit der Hoffnung, dass sie ihn von den Trainingseinschränkungen befreien würde.

Er wartete eine Viertelstunde, bis Aki in ein Buch vertieft um die Ecke bog.

"Oh, Stella! Du bist aber früh auf. Wartest du schon lange?", begrüßte sie den weißhaarigen, bevor sie das Lazarett betrat.

Sekunden später drehte sie sich mit verwirrtem Gesichtsausdruck zu Stella um.

"Ich sehe die Gehhilfen, aber du benutzt sie nicht.", stellte sie fest.

"Ja. Meinem Fuß geht es viel besser."

Aki sah noch verwirrter aus.

"Okay, du setzt dich da hin, ich mache Kaffee. Und dann erklärst du mir mal, was los ist."

 

"Ein grünliches Leuchten, ja? Klingt nach ziemlich fortgeschrittener Magie; Heilungsmagie.", erklärte Aki.

Sie sah sich Stellas Knöchel an.

"Die Schwellung ist fast verschwunden. Wie hieß der Junge?"

"Shion."

"Ah, der große Stille. Er hat dich nach dem Vorfall herbegleitet, richtig?"

Stella nickte.

"Diesen Jungen sollte ich mir merken. In Notfällen könnte er mir eine große Hilfe sein."

"Da stimme ich dir zu.", nickte Stella.

"Okay. Ich denke, du willst wieder normal trainieren dürfen?"

"Das wäre ganz toll."

"Ich untersuche dich noch ausführlich, dann sehen wir weiter."

 

Mittags erwartete Stella ungeduldig seine Mitbewohner.

Als endlich die Quartiertür aufging, zog es Stella ein breites Grinsen auf.

"Oh nein. Du hast zuviele Tabletten eingeworfen.", spekulierte Tara.

Stella lachte, bevor er den Backofen öffnete und einen riesigen Schokoladenkuchen herausholte.

"Leute; ist zwar mittag und das ist kein richtiges Mittagessen, aber... lasst ihn euch schmecken."

Mit leuchtenden Augen machten sich Krad und Tara über den Kuchen her, während Stella neben ihnen saß und vor sich hin grinste.

Die beiden schafften den ganzen Kuchen, bevor sie sich vollgefressen zurücklehnten und absolut zufrieden aussahen.

"Okay. Was hast du angestellt?", fragte Tara.

"Gar nichts."

"Du hast uns Kuchen gebacken.", stellte Krad fest; er sagte es, als ob er Stella bei einem Verbrechen überführt hätte.

"...okay."

Stella verschränkte die Arme vor sich auf dem Tisch und grinste noch breiter.

"Ich war heute morgen bei Dr Cress, und sie hat mir erlaubt, ab morgen wieder mitzutrainieren."

"Yay!", freute sich Krad aufrichtig.

Tara lächelte, aber es schien aufgesetzt.

"Tara? Was ist?", wollte Stella seufzend wissen. Er hatte schon so eine Ahnung.

"Das ist, weil Shion deinen Fuß geheilt hat. Oder liege ich falsch?"

"Oh bitte Tara, kannst du das nicht außenvor lassen? Mir geht es wieder gut, alles vorbei; tu doch einfach so, als wäre es nie passiert."

"Aber...!"

"Tara, ich meine es ernst. Bitte, bitte sieh es einfach als Vergangenheit an."

"… … …"

Krad musterte Tara, der zähneknirschend nachzudenken schien.

"...ich sage nichts mehr dazu."

"Danke."

 

 

Am Nachmittag beschloss Stella, einen Spaziergang zu machen.

Er wollte checken, wie gut sich sein Fuß wirklich belasten ließ.

Aki hatte ihm zwar das Training wieder freigegeben, konnte ihm aber nicht genau sagen, ob er auch wirklich wieder voll einsatzfähig war.

Er lief durch das ganze Gebäude, bis er dann im Hinterhof stand.

Es war eine schöne, friedliche Umgebung, hinter der Trainingshalle.

Man kam nur durch einen relativ langen Gang dorthin, und Stella bezweifelte, dass sehr viele hierherkommen würden; so ganz außer jeder Reichweite der Unterrichtseinrichtungen und Quartiere.

Er beschloss im selben Moment, dass er diesen Ort öfters aufsuchen würde.

Stella setzte sich unter eine der Trauerweiden und lehnte sich an den Baumstamm.

 

Er musste eingenickt sein, denn er erwachte, als ein Schatten auf ihn fiel und leises Knirschen der Blätter am Boden jemanden ankündigte.

Er blinzelte ein paar Mal und sah dann zum Ankömmling hoch.

"Dir scheint es besser zu gehen."

"Shion, hallo."

Stellas Begrüßung war neutral. Sehr neutral. Fast schon auf Shions Teilnahmslosigkeits-Niveau.

"Also?"

"Viel besser. Danke."

"…"

"Ab morgen kann ich wieder mittrainieren."

"Gut."

Damit wandte sich Shion zum Gehen.

"Shion, warte."

Mühsam, weil sein Körper noch mehr im Schlafmodus war als wirklich wach, stand Stella auf.

Der größere war tatsächlich stehen geblieben, doch er stand immer noch mit dem Rücken zum weißhaarigen.

Stella ging um ihn herum und stellte sich vor ihn.

Kurz sah er ihm in die Augen, und er sah, dass die Schuld, die er in den Augen des älteren gesehen hatte, nicht mehr da war.

Stella war seltsamerweise erleichtert.

Dann streckte er ihm die Hand entgegen.

"Danke, dass du meinen Fuß wieder heil gemacht hast."

Shion sah auf Stellas Hand, bevor er dem jüngeren wieder in die Augen sah.

Große, leuchtend helle Augen, in denen man jeden Gedanken des kleineren lesen konnte.

Unschuldig.

Und naiv.

Stella erwartete eigentlich aus Erfahrungswerten, dass Shion schweigend an ihm vorbeigehen und ihn wieder stehen lassen würde.

Umso überraschter war er, als Shion schließlich seine Hand ergriff.

"Du bist viel zu freundlich.", stellte Shion scheinbar teilnahmslos fest, bevor er Stella losließ und, wie vom kleineren erwartet, an ihm vorbeiging und den Hinterhof verließ.

Stella stand wie erstarrt da.

Er hob die Hand vor den Körper und sah sie an.

Shions Hand war warm gewesen; und sanft.

Sie passte so gar nicht zu seiner üblicherweise kalten und schroffen Art.

Die Zeit schien stillzustehen, während Stella weiterhin seine Hand anstarrte, unfähig, sich zu bewegen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Donnerstag

 

Breit grinsend stand Stella in der Trainingshalle.

Es war Zeit für Fernkampf-Training.

Umringt von Tara, Fynn, Krad, Jared, Tyra, Noel, Lucy, Ryan, Akihiko, Eve, Lucy und Catherine, die sich offenbar alle schreckliche Sorgen gemacht hatten, wartete Stella mit einem Grinsen wie das eines Honigkuchenpferdes auf Gray.

Schließlich kam der Ausbilder und grinste ebenfalls, als er den Auflauf von Leuten um Stella sah.

"Schön zu sehen, dass es dir wieder gut geht. Ich habe es von Doktor Cress gehört. Da hattest du wohl Glück im Unglück."

"Ja, ich glaube auch.", erwiderte Stella knapp.

Er wollte wirklich nicht, dass sich Shions heimlicher medizinischer Besuch herumsprach.

Das würde nur Probleme machen; für sie beide.

Vor allem, weil Tara dann wieder aufgehen würde wie Germteig.

"Okay Leute, ich weiß, die meisten von euch freuen sich irrsinnig, dass Stella wieder hier ist.

Trotzdem würde ich gerne mit meinem Training weitermachen.

Ihr könnt es euch sicher schon denken;

also holt euch eure Bögen."

Ryan sah Stella irgendwie schadenfroh an; er mochte es, wenn der weißhaarige jammernd verzweifelte.

Es war sehr unterhaltsam.

Doch entgegen seiner Erwartung lächelte der kleinere immer noch.

 

Stella schnappte sich einen Bogen und suchte sich eine freie Markierung.

Die angrenzenden Areale waren belegt von Ryan, Noel und Tara, die alle neugierig waren, wie sich Stella diesmal anstellte.

Er ignorierte die neugierigen Blicke, hob den Bogen, legte den Pfeil an; und schoss.

Drei Augenpaare weiteten sich vor Überraschung.

Der Pfeil hatte den äußersten Rand des schwarzen Feldes in der Mitte der Scheibe getroffen.

"So, so, du hast also an deiner Konzentration gearbeitet.", hörte Stella Grays Stimme und wandte sich zufrieden lächelnd um.

"Ich hatte etwas Zeit dafür übrig."

"Das glaube ich dir sofort. Nur weiter so. Aber vielleicht geht es diesmal ohne Verletzung.", meinte Gray grinsend und ging weiter.

Stella nahm den nächsten Pfeil.

Das war sein Tag.

Nachmittags trafen sich die Mitglieder des Musikclubs im dafür vorgesehenen Raum.

"Stella, hallo. Schön, dass es dir besser geht.", begrüßte ihn Shaiya lächelnd, "Ich hatte schon Angst, dass mein Partner sich ernsthaft verletzt hat. Aber es scheint ja halb so wild gewesen zu sein."

Stella lächelte unsicher. "Uhm, ja, halb so wild."

"Dann können wir also wieder normal proben. Sehr gut."

Stella sah zu dem rotbraunhaarigen jungen Mann mit den vielen Holzperlen-Kettchen an den Handgelenken und um den Hals.

"Du hast die Wahl zum Club-Präsidenten verpasst. Ich habe gewonnen.", der aufgedrehte junge Mann gab Stella die Hand, "Kashell, Keyboard und Synthesizer."

"Okay, schön dich kennenzulernen."

"Nicht wahr?", grinste der neue Präsident, "Also, legen wir los; alle auf ihre Posten."

 

Erschöpft und etwas heiser kehrte Stella mit Noel und Tyra in sein Quartier zurück.

"Du warst heute wieder verdammt gut.", lobte Noel seinen Freund.

"Allerdings. Ich bin sogar der Meinung, dass du heute besser warst als das erste Mal.", stimmte Tyra zu.

Stella kratzte sich verlegen am Hinterkopf und lachte kurz auf.

"Hört schon auf...", bat er.

Die drei stellten fest, dass Stellas Mitbewohner noch nicht zurück waren.

"Hey, Stella, gehen wir in die Bar.", schlug Noel vor.

"Es ist Donnerstag.", entgegnete Stella.

Das galt für Noel nicht als Gegenargument.

Nach Noels unbeeindrucktem Gesichtsausdruck, und der fehlenden Erwiderung, seufzte Stella lächelnd und nickte.

"In Ordnung, gehen wir Agni und Rudra besuchen.", stimmte er zu.

"Tyra, du holst Jared, und mit ihm auch gleich Fynn und Zack."

"Schon auf dem Weg.", grinste Tyra und lief los.

"Noel, du sagst Kashell Bescheid, der ist sicher auch dabei. Shiro ist auch gerne eingeladen, wenn er will."

"Yupyup!", damit war auch Noel weg.

Stella selber zog sich um und klapperte ein paar Quartiere ab;

Zuerst ging er ein Quartier weiter nach Norden, in die Sackgasse des dritten Stocks;

Quartier 308 war seine erste Haltestelle.

Dummerweise öffnete Chrome die Tür.

"Was willst du denn hier?", knurrte der größere.

"Ist Akihiko da?", ging Stella nicht auf Chromes Provokation ein.

"Konntest du nicht einfach schwerer verletzt sein?", schimpfte Chrome, wandte sich ins Innere des Quartiers und rief seinen Mitbewohner, bevor er von der Tür verschwand.

"Hey, Stella. Ist etwas passiert?", wollte Akihiko leicht besorgt wissen.

Stella erklärte ihm die Lage und Akihiko war dabei.

Er schickte Akihiko, um Rue aus 306 zu holen, und ging selbst weiter zu 305, um Lucy Bescheid zu sagen.

Tyra, Fynn und Jared kamen gerade aus 304, als Stella daran vorbeiging.

"Hey Leute!"

Und schon schickte er auch diese drei weiter;

Eine Tür weiter kamen Noel, Kashell und auch Shiro auf den Gang heraus.

Stella schickte Jared mit den schon zusammengetrommelten Leuten voraus, und ging mit Noel und Lucy weiter;

Sie holten Nel und Eve aus 302 und Catherine mit Rain, einer ihrer Mitbewohnerinnen, aus 301.

Dann gingen sie in den zweiten Stock;

Sie holten Ryan aus 201, Mikoto aus 207, Hervey und seinen Mitbewohner Alex aus 208 und Tray und Travis aus 209, bevor Lucy mit ihnen loszog und Noel und Stella den ersten Stock übernahmen.

Yuina lächelte und nickte, ohne ein Wort, als Stella sie aus 102 holte.

Stella zögerte kurz, als sie bei Shions Quartier vorbeikamen. Er wusste, dass es seines war, weil Yuina ihm ja erzählt hatte, dass sie Quartiernachbarn waren. Yuina bemerkte das Zögern und lächelte schwach.

"Soll ich ihn fragen?", wollte sie vom weißhaarigen wissen.

Kurz erschrocken von der plötzlichen Frage, lachte er etwas übertrieben.

"Ich denke nicht, dass er mitgehen würde."

"Das ist keine Antwort.", stellte Noel fest.

"Nein, lassen wir das. Ich habe heute so gute Laune, ich will nicht, dass er sie mir wieder verdirbt.", erklärte Stella;

es war sogar die Wahrheit.

"Aha.", machte Yuina bloß.

"Holt ihr noch Luca und geht schon mal vor, ich frage noch Shaiya. Bis dann."

Schnell ging Stella los zum Ende des Ganges.

Er musste einfach schnell von den beiden weg.

Noel kannte ihn schon viel zu gut, dafür, dass es erst eine Woche her war, dass die Ausbildung begonnen hatte, und Yuina schien ihm alles an den Augen ablesen zu können.

Und im Moment lag sein Puls bei etwa 200.

Er wusste nicht, warum. Er wusste auch nicht, warum er nicht wollte, dass Noel das mitbekam.

Shaiya musterte ihn kurz, als sie ihm die Tür öffnete.

"Alles in Ordnung?", fragte sie besorgt.

"Was? Uh, ja, sicher."

Schnell atmete Stella einmal tief durch, um seine Unruhe zu verbergen.

"Wir gehen wieder in die Bar. Kommst du auch mit?"

"Oh, ja sicher. Gib mir etwas Zeit. Du kannst ruhig vorgehen, ich finde schon hin.", erwiderte die Sängerin lächelnd.

"Okay. Dann bis später."

"Ja!"

 

Agni warf der Gruppe ein strahlendes Lächeln zu, und auch Rudra grüßte sie überschwänglich freundlich.

Diesmal brauchten sie sogar zwei Tische; was Stella immer mal wieder zum Kichern brachte.

Stunden vergingen mit sehr viel Spaß.

Jeder sprach mit jedem, und die Stimmung war fantastisch; man merkte, dass sich alle für Stella freuten, dass er wieder mittrainieren durfte und keine Schmerzen mehr hatte.

 

Es war nach Mitternacht, als die ersten aufbrachen.

Auch die anderen Gäste verschwanden einer nach dem anderen.

Stella ließ, leicht beschwipst, weil er sich das an diesem Abend erlaubt hatte, den Blick schweifen.

Das war bereits eine Angewohnheit geworden.

Er sah zur Bar;

dort, wo er letztens Kira, den silberhaarigen Jungen und Shion gesehen hatte.

Weder Kira noch der Junge waren da;

doch Sekunden später entdeckte Stella Shion.

Er saß am selben Platz wie zuvor, offenbar alleine, und hielt den Blick auf sein Glas gerichtet.

Stellas Lächeln, das sich an diesem Tag fast schon eingebrannt hatte, verschwand, und er musterte den älteren nachdenklich.

"Bin gleich wieder da.", informierte Stella Noel, der wieder neben ihm saß.

Dieser ging wohl davon aus, dass sein Freund nur kurz auf die Toilette ging, und nickte den Kommentar ab, bevor er wieder zu seinem Gespräch mit Akihiko zurückkehrte.

 

"Shion, hey."

Ungefragt setzte sich Stella neben den älteren.

Schweigend sah Shion auf, trotz seines Schweigens definitiv überrascht.

"...hi."

"Du warst neulich auch schon hier, nicht wahr?"

"...was, wenn es so wäre?"

"Gar nichts, nur... letztes Mal warst du doch mit Kira hier. Und mit dem anderen."

"...Aizu."

"Aizu?"

"So heißt er."

"Ah."

"Und was ist mit ihnen?"

"Es wundert mich nur, dass sie heute nicht hier sind."

"…"

"…"

Stella beschloss, zu warten.

Er wollte nur einmal eine Unterhaltung zustande bringen.

"...es war etwas... kurzfristig.", wurde Stellas Geduld belohnt.

"Was?"

"Meine Entscheidung, herzukommen."

"Ach."

"Wie geht es deinem Fuß?"

"Immer noch spitze. Ich kann gar nicht oft genug Danke sagen."

"…"

"…"

"Wieso bist du hergekommen?"

Stella war kurz verwirrt.

"Du hattest doch Spaß drüben bei deinen kleinen Freunden?"

Stella überhörte absichtlich die leichte Herablassung, die in seiner Stimme mitklang.

"Ja, und?"

"Wieso bleibst du nicht bei ihnen? Das wäre besser."

Jetzt war Stella komplett verwirrt.

"Wie meinst du das?"

"Genau so, wie ich es sage. Es wäre besser, wenn du dich von mir fernhältst."

"Aber... Aber..."

Gestresst suchte Stella nach einer Antwort.

Durch seine Angewohnheit, den Kopf hin und herzubewegen, wenn er gestresst war, fielen ihm seine Haare ins Gesicht und behinderten seine Sicht.

Plötzlich lag Shions Hand auf Stellas Stirn, was den jüngeren dazu brachte, aufzuhören, den Kopf hin und her zu werfen. Der jüngere sah überrascht hoch in die Augen seines Gegenübers.

Sapphire auf Emeralden.

Shion strich ihm die Haare aus dem Gesicht.

"So naiv... Du kennst mich nicht. Du hast keine Ahnung. In deiner Welt sollte es jemanden wie mich nicht geben."

Shion legte etwas Geld auf den Tresen, leerte sein Glas auf einen Zug und stand dann auf.

"Bleib in deiner Welt."

Damit war Shion auch schon verschwunden.

Perplex sah Stella ihm nach.

Minuten später kehrte er total neben der Spur zur Gruppe zurück.

Es dauerte relativ lange, bis Noel aufmerksam wurde, dass Stella eigenartig still war.

"Hey, was ist aus unserem Honigkuchenpferd geworden?"

"Huh?"

"Du hattest den ganzen Tag ein fröhliches Grinsen im Gesicht. Jetzt nicht mehr. Ist etwas passiert?"

Stella schüttelte den Kopf.

"Es ist alles okay, ich bin nur... müde."

Stella wusste, dass Noel ihm das nicht abnahm, doch der brünette nickte.

Er wollte ihn scheinbar nicht zwingen, etwas zu sagen, was er nicht sagen wollte.

"Ich mache mich auf den Weg.", meinte er schließlich und stand auf.

"Ich begleite dich. Du hast schon was getrunken.", erklärte Noel und erhob sich ebenfalls.

"Du doch auch.", grinste Tara.

Noel sah Tara vielsagend an.

"Ignorier mich nur. Geht schon.", widerrief Tara sein Statement und wandte sich wieder Fynn zu, mit dem er schon den ganzen Abend sprach.

Die beiden verabschiedeten sich von der Gruppe und machten sich auf den Weg zurück zur Thanatos.

 

Die Bar war nur ein paar Straßen von der Akademie entfernt, zu Fuß keine fünfzehn Minuten.

Nach ein paar Minuten in Schweigen versuchte Noel es erneut.

"Stella, du siehst wirklich nicht gut aus. Du... stehst total neben dir."

"Es ist wirklich nichts."

Noel seufzte.

"Wieso nur vertraust du mir nicht?", fragte Noel traurig.

"Ich vertraue dir doch!", erklärte Stella nachdrücklich.

"Aber du erzählst mir nicht, was dich bedrückt."

"Weil es nicht wichtig ist. Morgen ist wieder alles normal."

"Das ändert aber nichts daran, dass es dir jetzt nicht gut geht."

"…"

"Sag mir doch, was los ist..."

"Das kann ich nicht."

"Wieso denn nicht?"

"Ich weiß selber nicht, was passiert ist."

"…"

"Es ist nur... ich bin... verwirrt... manche Sachen... bringen mich total durcheinander..."

"Was zum Beispiel?"

Stella lachte. Er hatte einen Anflug von kranker Verzweiflung in seiner Lache.

"Meine Unfähigkeit? Das wäre ein Anfang.", meinte der weißhaarige.

Das bisschen Alkohol, das er getrunken hatte, war genug, um ihn ehrlicher zu machen, als ihm lieb war.

"Was redest du für Blödsinn?", seufzte Noel.

"Na denk doch mal nach.

Chrome hat mich im Nahkampf mehr als nur fertig gemacht.

Von Tyra oder Akihiko will ich gar nicht anfangen.

Und ich habe noch nicht einmal gegen Jared gewonnen.

In magischer Hinsicht bin ich so~ weit hinter Shaiya oder... wie heißt sie noch... Rachel?

Mit Waffen können Ryan und Hervey und der eine weißhaarige, von dem ich noch nicht einmal den Namen weiß, sowas von besser umgehen als ich.

Und Fernwaffen mögen mich auch nicht!

In Theorie bin ich gerade mal Mittelmaß.

Alles, was wir hier können sollten, kann ich nicht gut!"

Stella gestikulierte wieder wild durch die Gegend, während er sich über sich selbst aufregte.

"Ich hatte ein ruhiges, geordnetes Leben, meine Familie und Freunde liebte ich.

Ich war Musterschüler mit einem Notendurchschnitt von Eins komma Null.

Ich musste mich nichtmal anstrengen.

Und jetzt?

Ich gebe mir doch Mühe!

Das hatte ich noch nie müssen!

Und trotzdem komme ich nicht voran...!"

Erschöpft von der Toberei ließ Stella seufzend die Schultern hängen.

Plötzlich riss Noel ihn an den Schultern herum, sodass er den weißhaarigen ansehen konnte.

"Du kommst sehr wohl voran. Vielleicht musstest du dich bisher nicht anstrengen, aber du hast doch jetzt schon erkannt, dass du genau das jetzt tun musst. Du magst es nicht gewohnt sein, dass du dich anstrengen musst, um gute Ergebnisse erzielen zu können, aber als jemand, der das immer schon tun musste, kann ich dir sagen, dass du verdammt noch mal tierisch Glück hast, dass du erst jetzt damit anfangen musst!

Du darfst dich nur nicht jedesmal so fertigmachen, wenn dir etwas nicht gleich gelingt;

gerade hier ist doch Übung alles.

Hast du doch schon gesehen; du hast brav Magie geübt, und was passiert? Deine Konzentration ist besser geworden, was nicht nur deine Magie verbessert hat, sondern auch dein Können im Bogenschießen.

Das ist ein Erfolg, ob du es siehst oder nicht!"

Als Noel mit seinem Vortrag fertig war, legte Stella den Kopf leicht schief und atmete tief durch.

"Weißt du, es ist alles anders als ich es mir vorgestellt habe...

Es ist so... groß...

Es fühlt sich gerade so an... als ob es auf meinen Schultern steht...

etwas großes.

Es erdrückt mich fast...

Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll."

Stella hatte sich soweit beruhigt, dass er wieder etwas klarer denken konnte; das minderte zwar sein Minderwertigkeitsgefühl nicht, doch es half, seine chaotischen Gedanken zu ordnen und seinem Freund mitteilen zu können.

"Wie wäre es, wenn du dich einfach nicht so hineinsteigerst...?"

"Nicht... so... hineinsteigern...?!", Stella betonte jedes Wort.

"Warte, warte, ich hab das anders gemeint.

Nur... je schwerer du es dir selber machst, je mehr du von dir selbst erwartest, desto schwerer und "größer" wird das etwas auf deinen Schultern... verstehst du?"

"Ich glaube... meine größte Angst ist... mich selbst zu enttäuschen.

Nicht der zu sein, von dem ich denke... nein... hoffe, dass ich bin. ...oder sein könnte.

...die Angst, für meine Träume... ungeeignet zu sein."

"...unsere Leben haben sich komplett verändert. Ich kann gut verstehen, dass dich das... stresst.

Aber wir haben doch gerade erst angefangen.

Es stresst doch jeden, wenn sich alles so schnell verändert.

Da tut oder sagt man vielleicht Dinge, an die man normalerweise nicht mal denken würde.

Aber das heißt doch nicht, dass man nicht immer noch seine Träume erreichen könnte.

Solange du deinen Traum nicht vergisst, und immer wieder einen Schritt in diese Richtung machst...

Niemand hat das Recht, dir deinen Traum zu verwehren."

"…"

"...tu dir einen Gefallen und stress dich nicht so.

Nimm dir einfach die Zeit, die du brauchst, und sei du selbst.

Dein Licht scheint jetzt schon so hell wie ein Stern."

Stella sah Noel in die Augen.

Der Glanz in diesen grau-blauen Seen ließ keinen Zweifel, dass Noel genau das meinte, was er sagte.

Der weißhaarige fühlte Tränen in sich aufsteigen.

Vielleicht war es Noels Sorge um ihn.

Vielleicht war es Shions verwirrende Ansprache.

Oder vielleicht war es das Gewicht der Last auf seinen Schultern.

Im nächsten Moment hatte Stella die Arme um seinen Freund geschlungen und versteckte sein Gesicht in dessen

T-Shirt, um die Tränen zu verstecken.

Kurz zuckte Noel zusammen, bevor er dann die Arme um das zuckende Etwas vor sich legte und ihn näher zog.

 

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Stella wieder gefangen hatte.

Beschämt löste er sich von Noel und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg.

"Es tut mir Leid... ich weiß nicht... es war einfach..."

"Stella..."

Der weißhaarige wagte vor Scham über seinen Ausbruch nicht einmal aufzusehen.

"Vergiss niemals, dass ich für dich da bin. So ein kleiner Ausbruch schreckt mich nicht ab."

"Wenn du... weiter so... Sachen sagst... heule ich gleich wieder... gleich wieder los...", brachte Stella mit zitternder Stimme heraus.

Noel lächelte sanft und legte dem kleineren dann kameradschaftlich den Arm um die Schultern.

"Gehen wir nach Hause."

"...nach Hause... ...ja."

Freitag

 

So gut hatte Stella lange nicht geschlafen.

Noel hatte ihn bis in sein Schlafzimmer gebracht, bevor er sich verabschiedet hatte.

Es hatte Stella wirklich gut getan, offen über seine Sorgen zu sprechen.

Je mehr er es vor allen geheimhalten hatte wollen, desto schwerer war es für ihn geworden.

Er verstand nun die Phrase "Geteiltes Leid ist Halbes Leid" sehr viel besser.

 

Mit sich im Reinen saß Stella in der Klasse, mit einem ebenfalls friedlich lächelnden Noel neben sich.

Ab und an wandte sich Tara um, sah die beiden an, und grinste auch.

 

Leav betrat pünktlich die Klasse.

"Schönen guten Morgen.

Heute vormittag bereiten wir euch für Nachmittag vor.

Freitag Nachmittag werden wir künftig einen kombinierten Unterricht veranstalten;

wir werden Magie mit Nah- und Fernkampf verbinden.

Wie das geht? Nun, was tun, wenn man überraschend angegriffen wird, und man hat keine Waffen bei der Hand?

Waffenloser Nahkampf wäre eine Möglichkeit.

Doch ab heute werden wir daran arbeiten, unsere eigenen Waffen zu erschaffen.

Außerdem könnt ihr vorhandene Waffen wie Schwerter mit Aer in Flammen aufgehen lassen, oder was immer euch auch einfällt."

Sie sah in die erstaunten Gesichter ihrer Schüler und lächelte.

"Also gut. Beginnen wir damit, eine kleine Klinge aus Cryas zu formen. Hier müsst ihr besonders aufpassen, dass ihr den schneidenden Teil auch dünn und scharf genug macht. Zum Testen nehmt ihr ein Blatt Papier.

Und achtet darauf, niemanden zu verletzen!"

 

Gegen Ende des Vormittags hatten es alle geschafft, eine halbwegs brauchbare Waffe zu erschaffen; auch wenn Chromes mehr aussah wie ein Kindermesser als eine Waffe, so hatte es doch eine irre scharfe Schneide, wie er nur zu gern demonstrierte, indem er in den Tisch ritzte.

Stella hatte eine Klinge aus Cryas erschaffen, die etwas länger war als sein Unterarm; er war sehr zufrieden mit sich.

Die beste Waffe hatte Shaiya hinbekommen, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war; sie hatte sich einen Bogen gezaubert.

Leav lächelte zufrieden.

"In Ordnung, schön, dass ihr es alle geschafft habt.

Lasst es nun wieder verschwinden. Nach der Mittagspause sehen wir uns in der Trainingshalle wieder."

Gespannt standen nach der Pause alle wieder gesammelt in der Trainingshalle.

Leav war bereits da, sie warteten noch auf Gray.

"Ihr könnt ruhig schon mal eure Waffen vorbereiten.", erklärte Leav, mit einem leicht schelmischen Lächeln im Gesicht; sie wusste, dass manche deutlich länger brauchten als andere.

Rachel hatte ihre schmale, speerartige Waffe am schnellsten in der Hand, nur Sekunden darauf schulterte auch Shaiya bereits ihren Bogen.

Stella war unter den schnelleren derer, die etwas Mühe beim kreieren hatten, genauso Noel und Krad; Tara brauchte noch etwas länger.

Als Chrome und Lucy ihre Messer endlich als letzte in Händen hielten, betrat Gray Freed die Halle.

"Schönen Nachmittag. Hallo Leav. Dann können wir also anfangen."

Leav nickte und die beiden Ausbilder stellten sich nebeneinander vor ihren Schülern auf.

Im Bruchteil einer Sekunde hatten beide ihre Waffe in der Hand.

Nicht nur Stella staunte darüber, wie gut die beiden waren.

"Wir werden euch nun zeigen, was man erreichen kann, wenn man sowohl die Magie als auch die Kampfkunst beherrscht.", begann Leav.

"Wir werden sowohl Nahkampf mit und ohne Klingenwaffen als auch Fernkampf mit Magie kombinieren. Eines könnt ihr euch gleich merken...", fuhr Gray fort und sah zu Leav.

"Aer ist besonders gut, um Schlägen mehr Schadenspotenzial zu verleihen, während Cryas Klingen schärft und härtet, und Mana sich am besten mit Pfeilen kombinieren lässt, um ihre Flugbahn abzuändern und unvorhersehbar zu machen. Wir werden euch all diese Möglichkeiten demonstrieren.", beendete Leav die Erklärung.

"Passt gut auf. Ihr könnt jetzt sehr viel lernen.", meinte Gray und lächelte.

 

Der Showkampf der beiden Ausbilder dauerte über eine halbe Stunde.

Sie hatten feurige Schläge ausgetauscht, Pfeile in kreisförmigen Bahnen geschossen und Klingen aus Cryas gegeneinander schlagen lassen; es war mehr als nur beeindruckend gewesen, und nicht nur Stella stand der Mund vor Staunen weit offen.

Auch wenn Leav magische Künste ausbildete, so war sie auch im Nahkampf talentierter als die meisten ihrer Schüler.

Und Gray hatte eine beeindruckende Gabe für die Magie.

Jetzt erst wurde Stella klar, wie viel besser die Ausbilder wirklich waren;

wie weit dieses Level von Können noch von seinem oder dem von irgendeinem seiner Kameraden entfernt war.

Er beschloss, sich noch viel mehr ins Zeug zu legen.

Sein erster Checkpoint war, Jared zu besiegen.

Danach musste er Shion schlagen.

Und irgendwann würde er es schaffen, einem Ausbilder ebenbürtig entgegenzutreten.

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Genesis - Winter

Im Laufe der Zeit wurde die Freundschaft zwischen Stella und seinen Freunden stärker;

besonders Noel wuchs ihm irrsinnig ans Herz.

Stella, Tara und Krad koordinierten sich fast perfekt, und der weißhaarige hielt alle seine Freunde an, fleißig zu trainieren; er und Jared waren regelmäßig zum Sparring verabredet.

Noel übte mit ihm Fernkampf und Shaiya hatte sich als magischer Trainingspartner zur Verfügung gestellt, nachdem er sie im Musikclub einmal darum gebeten hatte.

Und solange er Chrome aus dem Weg ging, blieb Stella auch größtenteils unverletzt.

Sie gingen ab und an zu Agni und Rudra in die Bar, um abzuschalten; doch sie waren alle vernünftig genug, nicht übermäßig viel zu trinken.

Shion schien dem weißhaarigen aus dem Weg zu gehen, zwar sah Stella ihn manchmal in der Bar mit Kira und Aizu, doch sie wechselten kaum ein Wort miteinander.

Shion blockte alles sofort ab.

Stella fand sich alsbald damit ab und anstatt ihm weiter nachzusetzen, kehrte er zu seinem anfänglichen leicht fasziniertem Desinteresse zurück.

Außerdem wurde ihnen ihr Ansprechpartner für alle Probleme, die sie vielleicht hatten oder noch haben könnten, vorgestellt; Vincent Raithen, ein freundlicher junger Mann, der die rechte Hand Jeromes war und die Aufgabe hatte, sich um die Auszubildenden zu kümmern.

 

Und so vergingen Wochen und Monate.

Der Schnee kam, und dann stand auch schon Weihnachten vor der Tür.

 

Es war Dienstag Mittag, und Gray hatte gerade das Nahkampftraining für beendet erklärt.

Als die Auszubildenden gehen wollten, betrat Vincent die Halle und hielt sie auf.

"Hey Leute! Ich dachte ich informiere euch lieber gleich.

Diesen Freitag Abend findet unsere alljährliche Hadama-Feier statt.

Wie ihr vielleicht wisst, ehren wir damit den mächtigen Krieger des Feuers, der die große Eiszeit vor 700 Jahren unter Einsatz seines Lebens beendete. Die Einladungen wurden bereits verschickt, sodass alle rechtzeitig hier sein werden."

"...alle? Alle wer?", fragte Lucy verwirrt nach.

"Eure Familien. Es ist Tradition, dass zur Hadama-Feier auch die Familien anwesend sind.", erklärte Vincent.

Im gleichen Moment verließ Shion schnellen Schrittes die Halle, ohne auf Gray, Vincent oder Kira zu achten, die ihn alle fragten, was los sei.

Irritiert sah ihm Stella nach.

"Wage es nicht, deswegen zu grübeln.", flüsterte Noel dem weißhaarigen zu.

"Schon gut, schon gut.", gab Stella leise zurück, hielt sich aber an Noels "Ratschlag".

"Also werft euch am Freitag in Schale, Abendgarderobe ist obligat; ausnahmsweise.", fügte Vincent grinsend noch hinzu, bevor er mit einer kleinen, verabschiedenden Handbewegung die Halle verließ.

Stella sah kurz zu Yuina, die den Blick besorgt erwiderte, aber den Kopf leicht schüttelte.

 

Nachmittags fanden sich die Mitglieder des Musikclubs wieder in ihrem zugeteilten Raum ein.

Während Kashell alle orderte, sich aufzuwärmen, kam Shaiya zu Stella.

"Was hältst du von der Idee, unsere Familien zu der Feier einzuladen?", fragte sie ohne Umschweife, wie es ihre Art war.

"Also mich schert das nicht. Sollen sie ruhig kommen.", meinte Stella schulterzuckend.

"Wieso macht dich das nicht nervös?"

"Wieso sollte es? Es sind meine Eltern. Sie können ruhig sehen, wie ich lebe."

"Hm. Sehr entspannte Sichtweise. Nicht, dass ich etwas zu verbergen hätte, aber ich bin trotzdem ganz aufgeregt."

Stella kicherte. "Interessant, dass dich etwas aufregen kann."

"Ach? Wie das?"

"Ich habe dich noch nie gesehen, wenn du aufgeregt warst."

"Du hast viel noch nicht gesehen.", scherzte Luca und grinste verschmitzt, während sie an den beiden vorbei zu ihrem Instrument ging.

Stella sah ihr halb amüsiert, halb angesäuert nach.

Shaiya lächelte darüber. "Dann beginnen wir besser."

"Jawohl, Ma'am!", grinste Stella zurück.

 

Stella machte den ersten Schritt aus dem Proberaum, da trällerte ihm bereits Lucy seinen Namen entgegen.

"Hi Luce. Was ist los?", begrüßte Stella das Mädchen.

"Mir fällt im Quartier die Decke auf den Kopf! Machen wir was?"

Und schon hatte Lucy wieder ihren Dackelblick.

Immer wenn sie etwas von Stella wollte, setzte sie den Blick auf.

Es war inzwischen weniger der Blick selbst, sondern die Tatsache, dass Stella schon genau wusste, was kam, dass es ihn zum Lächeln brachte.

In dem Moment trat Shaiya hinter ihm aus dem Proberaum.

"Ach, gibt es wieder eine Party?", fragte sie, mehr als deutlich nur zu Stella gewandt und Lucy dabei ignorierend.

"Luce hatte die Idee, etwas zu machen.", erklärte er der Schönheit.

"Was haltet ihr davon, einfach wiedermal alle zusammenzutrommeln und uns in der Trainingshalle zusammenzusetzen?", richtete er jetzt wieder an beide Ladies.

"Eine gute Idee. Ich mache mich fertig und komme dann gleich hinunter. In Ordnung?"

"Sicher. Luce, was ist mit dir?"

"Da musst du fragen?", gab das Mädchen nur leicht lächelnd zurück, "Ich mache dasselbe."

"Okay. Ich sammle dann mal Partygäste.", meinte Stella und die beiden machten sich auf den Weg.

 

Stella hatte alle Stockwerke durchforstet und alle informiert;

als riesige Gruppe trafen sie in der Trainingshalle ein.

Noel war bereits bei Jerome gewesen und hatte ihn um Erlaubnis gebeten.

Yuina hatte auch den silberhaarigen Aizu, den Stella als einen von Shions "Freunden" wiedererkannte, mitgebracht.

Als sich die Freunde hingesetzt hatten, musterte Stella die anderen.

Sie sahen zwar alle fröhlich aus, doch bei den meisten entdeckte er die Nervosität vor der Feier; und ihren Familien.

Trotzdem waren alsbald alle in ein Gespräch vertieft.

Stella hielt sich eine ganze Weile zurück, wollte er doch seine Freunde beobachten.

Das erste, was ihm ins Auge fiel, waren Jared und Tyra;

sie klebten ziemlich aufeinander und flüsterten sich immer wieder etwas ins Ohr;

Stella war sich ziemlich sicher, dass er es nicht hören wollte.

 

"Was wirst du tun?", fragte Tyra leise.

"Ganz ehrlich; keine Ahnung."

"Ich werde es ihnen wohl sagen.", fuhr Tyra fort, bevor sie ihren Lover fixierte, damit er ihr antwortete.

"...mein Vater ist etwas... schwierig.", erklärte der schwarzhaarige flüsternd.

"Inwiefern?"

Jared seufzte.

"Mein ganzes Leben lang habe ich alle seine Anweisungen befolgt. Jeden Schritt, den ich gemacht habe, hat er mir befohlen. Er wollte mich auch schon verheiraten, aber das habe ich immer vermieden, indem ich ihm erklärte, dass ich dafür noch nicht bereit sei; dass ich zuviel zu tun hätte, als dass ich Zeit für eine Frau in meinem Leben finden würde. Wenn ich ihm jetzt das von uns erzähle... wird er mir nur wieder diese langweiligen, hohlköpfigen Spießerweiber aufdrängen. ...entschuldige den Ausdruck."

Tyra schwieg kurz.

"Du denkst also, er würde mich nicht gutheißen?", fragte sie dann vorsichtig, jetzt schon leicht gekränkt.

"Wahrscheinlich.", gab Jared zu, "Aber das wäre nicht das Problem. Das eigentliche Problem wäre, dass ich ihm nicht widersprechen könnte."

"Wieso nicht?", Tyra musste sich bemühen, ihre Stimme leise zu halten.

"Ich habe es doch gerade erklärt; ich habe immer das getan, was er gesagt hat. Nicht einmal habe ich ihm widersprochen. Nicht ein einziges Mal. ...ich weiß nicht, wie ich das tun sollte."

Tyra war sprachlos.

 

Stella hatte seinen Blick weiter wandern lassen, und das nächste Auffällige waren Tara und Fynn;

während Tara es sich gemütlich gemacht hatte im Schneidersitz, etwas nach vorne gelehnt und die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt, hockte Fynn daneben, in einem gerade noch als freundschaftlich durchgehender Distanz, aber so weit wie möglich zum blonden hinüber gelehnt.

Stella hörte zwar nicht, was Fynn zu Tara sagte, doch sein Mitbewohner sah plötzlich verlegen zur Seite und wurde rot, während Fynn sanft lächelte und ihm eine Hand an den Oberarm legte.

Um nicht selbst rot anzulaufen, wandte Stella den Blick, zugegebenerweise etwas irritiert von der Flirterei der beiden, ab.

Stellas Stürmerkollegen Tray und Akihiko waren in ein enthusiastisches Gespräch über verschiedene Fußballtechniken vertieft; sie schienen bereits beste Freunde geworden zu sein.

Als Stellas Blick weiterschweifte, entdeckte er Ryan und Zack in einer sehr ähnlichen Situation;

debattierend über ihren Lieblingssport und den Anschein erweckend, dass sie sich bereits irrsinnig gut verstanden.

Stella bemerkte, dass Lias und Luca zum ersten Mal miteinander sprachen, und als sie so nebeneinandersaßen, entdeckte er eine unglaubliche Ähnlichkeit zwischen den beiden; nicht nur ihre Haare und Augen, sondern auch die Art, wie sie sich bewegten, und ihre Ausstrahlung.

Stella war verwirrt.

Er wandte seine Aufmerksamkeit nun Yuina und Aizu zu;

besonders Aizu interessierte ihn.

Weil die beiden auch gleich neben ihm saßen, versuchte er sich bei dem Gespräch zu beteiligen;

allerdings sprachen sie über ihren Technikclub und Stella verstand kein Wort von dem Fachchinesisch, das sie um sich warfen.

Er wollte bereits aufgeben, als Yuina, die mit dem Gesicht in seine Richtung saß, seinen kläglichen Versuch bemerkte und ihn mit einem leichten Lächeln Aizu vorstellte.

Der silberhaarige wandte sich nun so, dass er nicht mehr mit dem Rücken zu Stella saß, und begrüßte ihn freundlich.

"Ah, also bist du Stella.", begann er dann und lächelte, als ob er plötzlich etwas verstehen würde, das ihm zuvor lange unklar war.

Stella sah Yuina an. "Was hast du ihm denn furchtbares von mir erzählt, dass er so grinst?", fragte er verwirrt.

Yuina hob sofort abwehrend die Hände, "Ich habe kein böses Wort über dich verloren!", verteidigte sie sich.

Irritiert sah Stella jetzt Aizu wieder an.

"Was hast du denn von mir gehört?"

Aizu lachte kurz auf; ein sanftes, melodisches Lachen. Stella erkannte sofort, warum er und Shion sich verstanden.

"Dass du schneller laufen kannst als du aussiehst, dass man dich sehr schnell verwirren kann und du manchmal keine Ahnung hast, was du redest.", erklärte er, nun schelmisch grinsend.

Stella war kurz sprachlos. "Wer erzählt dir sowas?"

"Denk mal scharf nach.", meinte Yuina, nicht minder schelmisch grinsend.

Stella seufzte. "Also hat Shion gepetzt, was?", meinte er schließlich.

"Gepetzt ist so ein vorwurfsvoller Ausdruck. Er hat mir nur von eurem kleinen Unfall erzählt.

Ach ja, und davon, wie ihr euch in der Bar getroffen habt."

"Er erzählt dir diese Sachen einfach so?"

"Beim Unfall war ich einfach neugierig. Und weil er an dem einen Abend so unerwartet gestresst war, in die Bar zu kommen, dass ich und Kira nicht mal Zeit hatten, uns fertig zu machen, hab ich ihn danach gefragt."

"Huh. Dann bekommst du also ganz normale Antworten, wenn du ihn etwas fragst?"

Als Yuina und Aizu gleichermaßen verwirrt aussahen, musste Stella lachen.

"Es ist nur... ich habe noch nie eine normale Antwort von ihm bekommen. Immer weicht er aus oder sagt komische Dinge, die nicht als Antwort zu zählen sind."

Yuina presste die Lippen aufeinander, sie schien etwas sagen zu wollen, aber sie verkniff es sich.

Aizu dagegen grinste.

"Ist dir schonmal aufgefallen, dass er das nur bei dir macht?"

Yuina sah Aizu kurz überrascht an, bevor sie schnell den Blick wieder abwandte.

"Also will er mich einfach nur ärgern. Das hätte ich mir denken können."

Yuina seufzte.

"Okay Stella, du bist da sowas von weit von der Wahrheit entfernt, dass ich mir das nicht länger ansehen kann.

Bevor wir heute zurückgehen, muss ich ein ernstes Wörtchen mit dir reden."

"Das ist wahrscheinlich eine gute Idee.", stimmte Aizu zu.

"Du brauchst nicht zu tun, als ginge dich das nichts an, Aizu. Du kommst dann auch mit!", orderte Yuina.

"Was? Wieso?"

"Weil es dich genauso etwas angeht, duh!"

"...okay.", stimmte Aizu dann aber zu.

Stella wollte nachfragen, wurde aber von Ryan unterbrochen, der plötzlich vor ihm stand.

"Yo."

Stella sah auf.

"Du kämpfst immer nur mit Jared oder Noel. Ich bin jetzt auch mal dran."

Der weißhaarige grinste.

"Klar doch."

 

Die meisten brachen zeitig auf, um für den nächsten anstrengenden Vormittag ausgeschlafen zu sein.

Nachdem kurz vor Mitternacht auch Noel, Fynn, Tara, Jared und Tyra als vorletzte gegangen waren, sah Yuina Aizu an und die beiden nickten sich zu; die zwei und Stella waren die letzten.

"So. Jetzt müssen wir dir mal was erklären.", begann sie und lehnte sich etwas nach vor.

Stella wurde plötzlich nervös. Gespannt, was jetzt kommen würde.

"Du hast gesagt, Shion wolle dich nur ärgern. Und das ist der größte Mist, den ich je gehört habe."

"Bevor wir hier anfangen, sollte er mal seine Sicht der Dinge erzählen.", unterbrach Aizu Yuina.

"...hm ja... stimmt. Also, Stella, erzähl mal."

"…? Und was genau?"

"Wie denkst du über Shion?", fragte Yuina geradeheraus.

Kurz stockte Stella.

Dann atmete er tief durch; und beschloss, ihnen einfach zu berichten, was er mit Shion erlebt hatte;

Als er ihn beim ersten Training aufgefangen hatte und so einen verwirrten Ausdruck in den Augen hatte.

Sein erster Kampf, bei dem er so eine böse Aura gehabt hatte.

Dass er ihn als größten Rivalen betitelt hatte und nur so viel trainierte, um ihn irgendwann schlagen zu können.

Als er mit ihm trainieren wollte und Shion ihn so gemein abgewimmelt hatte.

Sein Zusammenstoß mit Shion beim Fußball; und auch, dass er ihm das absolut nicht vorwarf; weil er es als Unfall sah und nicht als böse Absicht, so wie die anderen.

Wie Shion ihn besuchen wollte, seine Mitbewohner ihn davon abhielten und Shion es trotzdem schaffte, zu ihm durchzukommen und seinen Fuß zu heilen.

Und auch der besorgte Besuch im Innenhof, bei dem er sichergehen wollte, dass es ihm gut ging.

Seine eigenartige, kryptische Ansprache in der Bar.

Und, wie der ältere seither versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen.

Er erzählte ihnen alles außer seinem erhöhten Puls, wenn es um Shion ging.

Yuina und Aizu hörten ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen.

Als Stella schließlich fertig war, kratzte sich Aizu am Kinn.

"Also, nach den ganzen Aktionen müsstest du es eigentlich besser wissen.", meinte er.

Stella verdrehte die Augen. "Wenn ich es besser wissen würde, wüsste ich es auch besser.", beschwerte sich der weißhaarige, "Warum sagt ihr mir nicht einfach, worum es hier eigentlich geht?"

Wieder wechselten Aizu und Yuina einen scheinbar bedeutungsvollen Blick.

Yuina faltete die Hände im Schoß.

"Hier geht es darum, dass deine Abneigung gegen Shion völlig unbegründet ist.

Zum Beispiel; was war die Aktion, die dich am allermeisten aufgeregt hat? Die dich richtig sauer gemacht hat?"

"…"

Stella dachte kurz nach, doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

"Als er mich wie ein kleines Kind abgespeist hat, als ich ihn gebeten habe, mit mir zu trainieren.", antwortete er schließlich ehrlich.

Aizu lächelte leicht.

"Warum hat er das wohl gesagt?"

"Weil er ein arroganter Mistkerl ist?"

"Würde das zu seiner Heilungsaktion passen? Sieh doch mal das Gesamtbild, Stella.", warf ihm Aizu vor, bevor er fortfuhr,

"Ich erzähle dir jetzt etwas, das du niemals weitersagen darfst. Verstanden? Niemandem und zu keiner Zeit."

Stella nickte, natürlich irrsinnig neugierig, wenn Aizu so anfing, musste es etwas Gutes sein.

"Shion musste bereits sehr früh zu kämpfen anfangen. Er wurde gezwungen, immer mehr zu kämpfen, und das jeden Tag.

Daher ist er natürlich sehr gut geworden.

Nur... er kann sich schlecht zurückhalten. Das war einer der Gründe, warum er beim Kampf mit Kaleo derartigen Schaden angerichtet hat.

Hätte er mit dir trainiert, hätte er dich wohl schwer verletzt; du weißt, dass ihr bei weitem nicht dasselbe Level habt.

Er hätte dich wohl schlimmer zugerichtet als Kaleo.

Deshalb hat er es einfach nicht getan. Aber er ist nicht der Typ, der dir das so erklärt hätte; nie würde er dir das gestehen.

Ehrlich gesagt hat er bereits Fortschritte gemacht, dass er es selber einsieht.", erklärte Aizu.

"…"

Mit diesem Hintergrund konnte Stella dem älteren gar nicht mehr böse sein, dass er ihn so abgespeist hatte.

"Okay, der Punkt geht an euch.", meinte er resignierend lächelnd.

"Wir verstehen uns gut mit Shion. Deshalb wollen wir nicht, dass du böse auf ihn bist, obwohl es absolut nicht nötig ist.

Das ist der Grund, dass wir jetzt hier sitzen.", erklärte Yuina.

"Seid ihr... Freunde?", wiederholte Stella seine Frage von damals, als er Yuina in der Bar dasselbe gefragt hatte.

Wieder lachte Yuina.

"Warum lachst du? Was ist so lustig an der Frage?", wollte Stella wissen.

"Shion bezeichnet niemanden als Freund.", erklärte Aizu, da Yuina immer noch vor sich hin kicherte,

"Er... hält Leute prinzipiell auf Abstand. Es ist, für seine Verhältnisse, schon ein Beweis der Zuneigung, wenn er mit jemandem mehr als drei Worte redet."

"Wow, es ist schon total spät. Sorry Stella, ich muss ins Bett.", meinte Yuina nach einem Blick auf ihre Armbanduhr.

"Ich gehe dann auch.", schloss sich Aizu an und die beiden standen auf.

"Ach, und Stella?"

Der weißhaarige sah zu Aizu hoch.

"Sei nicht so streng mit ihm. Wenn du wieder glaubst, er hätte etwas gemeines getan...", meinte Aizu.

"...denk nochmal nach.", beendete Yuina den Satz ihres Kumpels und zwinkerte Stella zu.

Damit gingen die beiden.

Stella saß noch eine ganze Weile wo er war und dachte darüber nach, was er von Yuina und Aizu gehört hatte.

 

 

Freitag – Hadama Feier

 

Die meisten freuten sich auf die Hadama-Feier, sahen sie doch endlich mal ihre Familien wieder.

Nur eine Handvoll saßen völlig demotiviert mit "Will-nicht"-Gesichtsausdruck am Freitag kurz vor Mittag in ihrer Klasse.

Leav hatte soeben ihren Unterricht für beendet erklärt, nachdem sie ihre Schützlinge wieder und wieder deren magische Waffen erschaffen hatte lassen.

"Also schön. Aufgrund der Hadama-Feier werden wir heute Nachmittag keinen Unterricht veranstalten.

Eure Familien sollten im Laufe des Nachmittags eintreffen, also fangt schon mal an, eure Quartiere in Ordnung zu bringen.", dabei lächelte Leav, "Seid am Abend pünktlich in der Aula. Jerome wird eine kleine Ansprache halten, und ihr habt dabei in jedem Fall anwesend zu sein. Verstanden?"

Leav wartete kurz und überflog die Gesichter ihrer Schüler.

"Na dann. Einen schönen Tag noch, wir sehen uns dann am Abend."

 

Während die meisten wie von der Tarantel gestochen aufsprangen, um ihr Quartier aufzuräumen, wie Leav es vorausgesagt hatte, blieb Stella, die Ruhe selbst, sitzen.

Noel schielte zu ihm hinüber.

"Was ist? Kein Putzdienst?"

"Nicht heute. Ich habe mit Tara und Krad gestern schon das ganze Quartier auf Hochglanz poliert."

"Ach?", machte Noel und verzog dann das Gesicht.

"Du wohl nicht, was?"

"Kashell ist sowieso nie da, immer auf Achse, und Shiro sagte bloß, dass er absolut keinen Bock hätte. Und allein konnte ich mich auch nicht dazu aufraffen."

"Apropos, ich bin dann mal weg. Kashell und ich gehen eine Runde spazieren. Gegen Abend sind wir wieder da.", informierte Shiro seinen Mitbewohner im Vorbeigehen.

Noel wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht. "Siehst du?"

Stella lachte kurz auf.

"Na komm, ich helfe dir."

"Im Ernst?!", fragte Noel überrascht.

"Klar. Mir fällt sowieso die Decke auf den Kopf, wenn ich im Quartier warte, ohne was zu tun."

Stella zuckte bloß die Schultern, während Noel wie ein Honigkuchenpferd strahlte.

"Danke, dankedankedanke!", rief der brünette aus und umarmte Stella heftig.

"Ist ja schon gut!", etwas überrumpelt versuchte Stella erfolgslos, Noel von sich wegzuschieben.

"Dafür hast du definitiv was gut!"

"Ja, ja. Also, gehen wir."

 

"Schatz!", gerade waren Noel und Stella fertig mit Aufräumen, da klopfte es an der Quartiertür und eine leicht schrille Stimme drang ins Quartier.

"Oh nein. Mom.", stellte Noel entsetzt fest.

Dann sah er Stella an.

"Was jetzt passiert, darf niemals diesen Raum verlassen, okay?", bat er, bevor er die Tür öffnete.

Eine etwas ältere Frau stürmte ins Zimmer, entdeckte Noel im selben Moment und schlag die Arme um ihn.

"Oh Schatz, endlich sehen wir uns mal wieder! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Isst du auch anständig? Schläfst du genug? Sind die anderen nett zu dir?"

Stella war unwillkürlich ein Stück zurückgewichen. Noels Mutter drückte ihn so fest, dass er Angst hatte, dass sein Freund erstickte.

"Trägst du auch die Unterwäsche, die wir dir mitgegeben haben?"

Noel schaffte es endlich, sich aus dem Klammergriff seiner Mutter zu befreien und atmete tief durch, um seine nach Luft schreienden Lunge wieder aufzufüllen.

"Mom! Mom, bitte, darf ich auch kurz was sagen?"

In ihrem Redeschwall unterbrochen, löste sich Noels Mutter von ihrem Sohn und wartete darauf, dass er weiterredete.

"Mom, das ist Stella."

Noels Mutter schien Stella jetzt erst zu bemerken und lächelte ihn freundlich an.

"Ah ja, Stella, ich habe schon so~ viel von dir gehört!"

Und im nächsten Moment fand sich auch Stella in einer luftabschnürenden Umarmung wieder.

Es dauerte allerdings nur Sekunden, bevor Noel dazwischenging und seine Mutter von Stella wegschob.

"Mom, ihr kennt euch doch gar nicht, mach ihn nicht verlegen!", beschwerte sich Noel und legte einen Arm fast schon beschützend um Stellas Schultern.

Noels Mutter lächelte nachsichtig. "Ist gut, Schatz."

Dann ließ sie den Blick durch das Quartier ihres Sohnes wandern.

"Wow, so aufgeräumt war dein Zimmer zuhause nie.", stellte sie fest.

Stella unterdrückte ein Kichern, woraufhin Noel seine freundschaftliche Umarmung in einen leichten Schwitzkasten umänderte, um ihn still zu halten.

"Ich bin halt doch etwas erwachsener geworden.", gab Noel schließlich grinsend zurück.

"Uhm, Noel, ich geh dann wieder, meine Eltern müssten auch bald kommen."

"Klar. Und danke."

Stella nickte den Dank lächelnd ab, dann gab er Noels Mutter die Hand.

"Hat mich gefreut."

"Wir sehen uns sicherlich am Abend wieder.", es klang für Stella wie eine Drohung, doch er lächelte freundlich, bevor er schließlich das Quartier verließ.

Kaum auf dem Gang, seufzte Stella tief.

Das war ja fast wie seine eigene Mutter.

 

Entgegen Stellas Erwartungen kamen seine Eltern erst Stunden später, kurz vor Beginn der Feier.

Seine Mutter knuddelte ihn durch, während sein Vater daneben stand und ihn lobte, dass sein Quartier so sauber war;

es erinnerte ihn an Noels Mutter, nur auf zwei Personen aufgeteilt.

Schließlich ließ seine Mutter von ihm ab und begann, das Quartier genauer zu untersuchen.

"Gar keine Fertiggerichte im Kühlschrank.", stellte sie fest.

"Ja, ich wurde zum Kochdienst abkommandiert, also koche ich auch."

"Ich hätte auch gern mal wieder eine deiner Kreationen.", meinte Stellas Vater lächelnd.

"Ach, jetzt sind dir also meine Kochkünste nicht gut genug?", regte sich Stellas Mutter sofort auf.

Stella lachte.

 

Die drei gingen in die Aula, zu Stellas rechten seine Mutter, links von ihm sein Vater; und alle drei lächelten friedlich vor sich hin.

Noch weiter erheitert wurde Stella durch die Gesichter seiner Kameraden.

Ein spezieller, und für unbeteiligte sehr unterhaltsamer, Effekt war überall zu beobachten; es war schon damals in der Schule so gewesen und hier an einer Elite-Kampfakademie war es kein bisschen anders;

sobald jemand seine Eltern um sich hatte, wurde er wieder zum Kind.

Es wurde an der Kleidung herumgezupft, peinliche Fragen gestellt und man durfte es nicht wagen, sie mit einem Kommilitonen reden zu lassen; derartig unangenehme Gesprächsthemen hatte man noch nie gehört.

Allerdings gab es drei konkrete Situationen;

Für die erste waren Stella und seine Eltern ein Paradebeispiel; Stolze, stets besorgte Eltern, die mit ihrem Kind im Einklang waren.

Lächeln, durch die Haare wuscheln und stolze Auf-die-Schulter-Klopfer waren Ergebnisse dieser Situation.

Zweitens waren da die sturen, ablehnenden oder ignoranten "Kinder", wie Chrome oder Lias. Die Eltern sahen angespannt aus und schienen sich gezwungen zu fühlen, anwesend zu sein, während die Kinder am liebsten einfach in ihrem Quartier geblieben wären, sich aber den Befehlen von Jerome beugen mussten.

Und die dritte war die Gleichgültigkeit von beispielsweise Kira oder Rain; Es war keine greifbare Abneigung wie bei der zweiten Situation gegeben, aber das Lächeln und die harmonische Atmosphäre vom ersten Fall fehlten ebenfalls.

Es wurden inhaltslose Floskeln herumgeworfen und das typische "Du siehst gut aus", "Es geht mir ganz gut" oder "Es gibt nichts Neues" wurde mehrfach hintereinander in den Raum gestellt. Null Anteilnahme, doch anstandshalber fragte und antwortete man inhalts- und teilnahmslos.

Als Stella jedoch Shion mit seiner Familie sah, wurde ihm ganz anders.

Shion stand schweigsam wie immer starr an einem Fleck, während der ältere Mann neben ihm, definitiv sein Vater, auf ihn einredete; es sah aus, als ob er ihn für etwas schimpfte. Wofür ein Musterschüler wie Shion eine Schelte verdiente, war Stella nicht klar.

Die beiden jungen Männer, älter als Shion, doch nicht um viel, standen mit verschränkten Armen neben den beiden, beteiligten sich in keinster weise an dessen Gespräch mit seinem Vater und observierten alles und jeden in ihrer Umgebung ganz genau.

Was Stella am meisten irritierte, war aber Shions Gesichtsausdruck.

Er war... leer. Emotionslos. Als hätte er nicht nur seine Ohren auf Durchzug geschaltet, sondern seine ganze Wahrnehmung.

Er schien das Geschimpfe seines Vaters nicht einmal richtig wahrzunehmen.

Und doch schien es Stella, als würde er sich wegen irgendetwas quälen.

Als hätte er vor einer Situation, die noch nicht passiert ist... Angst.

Stellas Beobachtungen wurden unterbrochen, als Jerome auf das erneut aufgebaute, provisorische Podest trat und sich mit einem Räuspern bemerkbar machte, woraufhin die aufgewallten Gespräche verstummten.

"Liebe Schüler, geehrte Eltern; ich darf Sie alle herzlich zu unserer diesjährigen Hadama-Feier begrüßen.

Der Anlass dieser Veranstaltung..."

Jerome erzählte die Geschichte von dem legendären Krieger des Feuers, und es schien Stella, als ob er es absichtlich so in die Länge zog. Schließlich wünschte er den Anwesenden eine angenehme Zeit und bedankte sich für die Aufmerksamkeit; die er trotz seiner langatmigen Ansprache definitiv genossen hatte.

 

Trotz der Versuche der Kinder, ihre Eltern von sämtlichen Kommilitonen fernzuhalten, fanden sich alsbald einige der Eltern und sprachen in peinlichster Weise davon, wie stolz sie auf ihre Kinder seien, weil sie früher dieses und jenes gemacht hatten;

der Albtraum eines jeden, der Eltern hatte.

Noels Mutter hatte Stella entdeckt und kam mit ihrem Sohn, der wie ein trotziges Kind nur widerwillig hinterhertrottete, sofort zu ihm.

"Sie sind also Stellas Eltern? ", fragte sie freundlich, und Stella sah am Gesichtsausdruck seiner eltern, dass sie schon mit dem Schlimmsten rechneten.

"Ich habe schon so viel von ihm gehört! Noel redet fast nur von Ihrem Sohn!"

Noel hatte sich bereits halb weggedreht, er wollte so wenig wie möglich von dem Gespräch mitbekommen; hätte er nur ein bisschen weniger Anstand, wäre er einfach gegangen.

Stella hatte Mitleid mit seinem Freund; jetzt noch.

Nachdem sich Noels Mutter darüber ausgelassen hatte, wie schön es sei, dass Noel endlich einen guten Freund gefunden hatte, weil er das in der Vergangenheit ja nicht hatte, begannen dann aber Stellas Eltern, Geschichten aus seiner Kindheit zu erzählen;

das war der Moment, in dem Stella aufhörte, Noel zu bemitleiden, und jetzt nur seine Haltung imitierte.

Doch auch Stella hatte zuviel Anstand, um einfach zu gehen; auch wenn er nichts lieber getan hätte.

 

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich alle ausreichend über ihre Kinder ausgelassen hatten.

Schließlich erwähnte Stellas Vater dessen Kochkünste, und Noels Mutter war neugierig geworden;

deshalb hatten sie sich alle gemeinsam auf den Weg in Stellas Quartier gemacht, damit er sie bekochen konnte.

Die drei Erziehungsberechtigten gingen fröhlich vor sich hin plaudernd voraus, während Stella und Noel mit hängenden Köpfen energielos hinterherdackelten.

 

Selbst während und nach dem Essen hörten Stellas und Noels Eltern nicht auf, sich köstlich zu unterhalten; auf Kosten ihrer Kinder, obwohl ihnen das nicht bewusst war.

Noel und Stella saßen am Tisch, den Kopf auf die verkreuzten Finger gestützt, und seufzten abwechselnd.

Für die beiden Auszubildenden viel zu lange dauerte es, bis sich die drei ältesten dazu entschlossen, sich vor der Heimreise noch in einer der Bars in der Nähe "ausführlicher zu unterhalten".

Nicht nur Stella wunderte sich, wie es noch ausführlicher ging als die Regelmäßigkeit der Darmaktivitäten bei
Dreijährigen.

Als die Verabschiedungen, die aus viel zu vielen viel zu festen Umarmungen zwischen allen Beteiligten bestanden, endlich vorbei waren und die Eltern sich durchs Haupttor verabschiedeten, atmeten Stella und Noel gleichzeitig tief durch.

"Ich liebe diesen Tag.", meinte Stella schließlich, was ihm einen verwirrten und entsetzten Blick von Noel einbrachte.

"Wie bitte?", fragte er ungläubig, "Wieso?!"

"Weil es ihn nur einmal gibt.", grinste Stella.

Noel lachte.

"Und was machen wir jetzt? Es ist noch früh. Sollen wir auch was trinken gehen?", wollte Noel wissen.

"Und riskieren, ihnen noch einmal über den Weg zu laufen? Nee~!", gab Stella sofort zurück.

"Ah! Ich weiß! Es sind sicher noch viele Eltern da. Gehen wir in die Aula und freuen uns auf Kosten derer, die immer noch Besuch haben?"

"Noel, du bist gemein. ...also gehen wir!"

 

Die beiden hatten leider ihre Rechnung ohne ihre Freunde gemacht.

Kaum, dass die anderen sahen, dass die zwei alleine waren, wurden sie gerufen;

die erste war Lucy, die Stella durch die halbe Aula entdeckte und seinen Namen rief, sodass er nicht mehr flüchten konnte.

Noel allerdings war so schnell verschwunden, dass sich Stella nicht einmal mehr sicher war, ob er wirklich nur einen halben Schritt neben ihm gewesen war, wie er gedacht hatte.

Er marschierte auf die Kleine zu, die wie ein Honigkuchenpferd grinsend zwischen ihren noch sehr jungen Eltern stand.

Man sah den beiden an, wie stolz sie auf ihre Tochter waren.

"Mommy, Daddy, das ist er!"

Nachdem Lucy ihn nur auf diese Weise vorstellte, wusste Stella, dass sie wohl die letzte Stunde von nichts anderem gesprochen hatten.

Die Mutter umarmte Stella kurz. "Meine Tochter hörte gar nicht mehr auf, von dir zu sprechen. Danke, dass du immer so gut auf sie aufpasst!"

Der Vater gab Stella freundlich lächelnd die Hand.

"Ich hatte mir Sorgen gemacht, als Lucy auf eine Kampfakademie gehen wollte, aber nachdem ich von dir gehört habe, war ich beruhigt. Ich bin froh, dass sie einen so guten Freund gefunden hat."

Hätte Stella nicht die letzten Stunden in peinlichen Situationen verbracht, hätte er jetzt wohl verschämt zur Seite gesehen und das Lob mit irgendwelchen Floskeln beiseite gewischt. So lächelte er nur.

"So sehr aufpassen muss ich gar nicht. Lucy macht sich ziemlich gut.", erwiderte er mit breiter Schleimspur; das war normalerweise nicht seine Art, aber was hätte er sagen sollen?

 

Als sich Stella endlich mit gutem Gewissen verabschieden konnte, entdeckte er Noel bei Krad und Tara und deren Eltern.

Sofort änderte er seinen Weg zu einem großen Bogen um die Gruppe.

Darauf bedacht, seinen Freunden und deren geschwätzigen Eltern auszuweichen, bahnte er sich seinen Weg durch die Aula und belächelte die Versuche seiner Kameraden, zumindest ein kleines Stück ihrer Würde zu bewahren.

Er entdeckte Tyra, die ziemlich glücklich aussah mit ihrer Mutter und einem jüngeren Mädchen, wohl ihrer Schwester.

Dann sah er Jared, nur mit seinem Vater.

Der Vater sah ziemlich ernst aus, er hatte die Arme verschränkt, musterte jeden in seiner Umgebung und redete währenddessen auf Jared ein, der mit gesenktem Blick dastand und alles über sich ergehen ließ, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Trotz der scheinbar gespannten Atmosphäre um die beiden wirkten sie friedlich.

Ganz im Gegensatz zu Stellas nächstem Beobachtungsopfer;

Als er Shion entdeckte, hatte sich die Luft um ihn und seine "Familie", Stella weigerte sich, es als solche zu bezeichnen, derart verdichtet, dass man die gespannte Atmosphäre beinah greifen konnte.

Einer der jüngeren Männer war verschwunden, der zweite stand einen Schritt vom Vater entfernt und beobachtete die anderen Gäste, und der Vater redete eindringlich auf Shion ein; so eindringlich, dass selbst Shion, der doch alles zu wissen und können schien, mit jedem Wort kleiner zu werden schien.

Es schmerzte Stella, den so stolzen Jungen so zu sehen.

Langsam ging er Schritt für Schritt näher zu der eigenartigen Szene, ohne wirklich zu wissen, warum.

Er war nur noch wenige Meter von dem Grüppchen entfernt, als Shion den Blick leicht hob, und ihn entdeckte.

In wenigen Sekunden liefen ein paar verschiedene Gefühlsregungen durch Shions Gesicht;

erst Verwirrung, dann Ungläubigkeit, dann leichtes Entsetzen und schließlich wieder seine eiskalte Miene.

Shion schien ihn mit Blicken töten zu wollen; oder zumindest verschwinden lassen.

Stella war wieder einmal verunsichert von der unbegründeten Ablehnung, die ihm entgegenschlug, bewegte sich aber keinen Schritt.

Shions Vater schien den Blick seines Sohnes bemerkt zu haben und folgte ihm;

mit unverhohlener Feindseligkeit starrte der ältere den Kollegen seines Sohnes an und musterte ihn ausgiebig.

Als Shion den Blick seines Vaters bemerkte, entkam ihm wieder ein entsetzter Gesichtsaudruck, den er schnell wieder verschwinden ließ, bevor er ein paar Worte zu seinem Vater sagte.

Dieser wandte verzögert den Blick von Stella ab und nickte bloß, bevor er zu dem anderen jungen Mann bei ihnen knapp etwas sagte und die drei aus der Aula verschwanden, doch nicht, ohne dass Shion Stella noch einmal einen undefinierbaren Blick zuwarf.

Stella stand noch eine ganze Weile wie erstarrt da, er konnte sich einfach nicht bewegen.

In seinem Kopf rotierten Gedanken über Shions merkwürdigen Blick, und warum Shions Vater ihn so böse angesehen hatte, und, was es mit den beiden jungen Männern auf sich hatte, die er heute bei ihnen gesehen hatte.

 

Auf dem Weg zu ihrem Ziel sah sein Vater Shion fordernd an.

Shion wusste, er verlangte eine Erklärung zu dem abrupten Aufbruch, und noch zu etwas anderem.

"Wer war der Junge, der dich angesehen hat?"

Shion zögerte einen Moment, nach den richtigen Worten suchend.

"Nur einer in meiner Klasse."

"Ach. Und warum lag dann Besorgnis in seinen Augen? In seiner ganzen Haltung?"

"Weiß ich doch nicht. Er ist einer von diesen Weltverbesserern hier, er will sich um alles und jeden kümmern."

Shion war erstaunt, dass er nicht einmal log.

"Also seid ihr keine Freunde?"

"Nein!"

Shions Vater zog bei Shions hervorgestoßenen Äußerung eine Augenbraue hoch.

Shion hätte sich für den leichten Anflug von Panik in seiner Stimme ohrfeigen können.

Er müsste es doch besser wissen.

"Als ob ich mit denen hier anbandeln würde. Du müsstest wissen, dass sie nicht auf meinem Niveau sind.

Das ist ein Kindergarten hier.", rechtfertigte sich Shion, diesmal mit gemäßigter, teilnahmslos klingender Stimme, und setzte sein überhebliches Grinsen auf.

"Gut. Dann muss ich dich nicht erinnern, warum du hier bist."

"...natürlich nicht."

Als ob Shion das vergessen könnte.

Jeden Tag musste er mit demselben Gedanken kämpfen.

Jedesmal, wenn er die paar seiner Kommilitonen, die er leiden konnte, sah, musste er daran denken.

Niemals konnte er diese eine Sache vergessen; obwohl er sie am liebsten vergessen wollte.

 

Der Schnee schmolz, der Frühling motivierte die Auszubildenden ungemein.

Und dann, bevor die Schüler sich versahen, war ihr erstes Jahr vorbei;

und die Abschlussprüfungen standen bevor.

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