Liebe und andere Feuerproben

 

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Mittwoch, 10 März - Dienstag, 1 Juni 2010

 

Als ich Anna zum ersten mal sah, war sie im Englischen Garten mit ihrem Bruder und deren Hund. Das heißt, ich nahm an es war ihr Bruder. Sie sahen einander zu ähnlich an um etwas anders zu sein. Er schmiss den Hund immer wieder einen Ball nach und sie lief mit. Die Sonne schien auf ihre roten Locken und glänzte von einer goldenen Kette die sie um den Hals trug. Man merkte kaum dass sie auf Krücken ging. Als sie dann fast umkippte vom ungleichmäßigem Terrain, war der Schäferhund gleich bei ihr um sie zu stützen, als ob sie ein Schaf wäre dass er am hüten war.

„Ei, Dummerchen, das ist kein Schaf zum hüten,” lachte ihr Bruder damals. „Das ist Anna. Aber gut gemacht. Braver Hund, guter Junge.” Er tätschelte den Kopf des Hundes während sie den Hund einarmig umarmte.

Anna, dachte ich. Und so kannte ich ihren Namen.

 

Ich fand Anna hübsch und irgendwie toll; da geht ein Mädchen mein Alter rum auf Krücken ohne deutliche Verletzung, also kein Unfall, und lebt das Leben noch immer voll und lacht und genießt alles. Um ehrlich zu sein, ich beneidete sie ein bisschen. Ich wollte auch so sein können, ein Hund haben, und ein Bruder, die mit mir spielten und lachten. Ich blieb ein gutes Weilchen auf der Bank sitzen um sie zu beobachten und genoss jede Sekunde davon.

Während ich sie beobachtete dachte ich nach über meine Familie. Meine Eltern haben kein zweites Kind nach mir gehabt denn ich war ein sehr „anstrengendes” Kind, nach meiner Mutter, immer leicht am weinen oder ängstlich werden, sehr leicht in brüllenden Ausraster zu provozieren. Meine Mutter hat die Hilfe eines Kindermädchens gesucht, mich so früh wie möglich in den Kindergarten gesteckt (wo ich regelmäßig herausgeflogen bin), und geweigert noch mehr Kinder zu haben aus Angst dass sie auch so sein würden. Mein Vater hat sich wirklich nicht viel gekümmert außer viel zu brüllen und hier und da ein Ohrfeige zu geben wenn es ihm zu viel würde. Dürfte er technisch gesehen ja nicht, aber niemand kontrolliert was die obere Mittelschicht zu Hause macht so lang es nicht nach außen drängt.

Ich wollte auch schon immer einen Hund, aber meine Eltern haben immer gesagt: absolut nicht. Keine Tiere die Dreck machen. Und darum hatte ich einen Goldfisch bis der starb und niemand mir den ersetzte und es war mir zu doof es selber zu machen. Seitdem sind wir ohne Tiere zu Hause.

 

Ich fange an regelmäßig in den Englischen Garten zu gehen aus verschieden Gründen, oder zumindest sage ich mir das. Wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, dann muss ich zugeben dass ich eigentlich dort hingehe in der Hoffnung neue Blicke von Anna zu bekommen. Ein Teil von mir hofft dass sie mich merken wird, aber sie ist immer beschäftigt mit Hund und Bruder. Ich bekomme aber mit dass der Hund Goethe heißt und der Bruder Valentin. Wer nennt nun seinen Hund nach Deutschlands vielleicht berühmtester Schriftsteller? Das hätte ich ihr gerne gefragt.

Ich hab viel mehr Fragen für sie, würden wir je mit einander sprechen. Warum gehst du immer raus mit deinem Bruder, wenn er wirklich deinen Bruder ist? Wo sind deine Eltern? Sind die so beschäftigt und uninteressiert wie meine? Warum läufst du mit Krücken? Warst das wirklich du dass ich ein paar Male gesehen hab mit Rollator und warum? Leider kennen wir einander nicht und ich bekomme keine Antwort auf meine Fragen.

 

Ich sehe meinen Psychiater wie üblich Dienstags und Donnerstags zur Therapie. Aber diesen Donnerstag ist anders. Diese Sitzung hab ich erwähnt dass ich seit einem Monat öfters im Englischen Garten bin. Und das interessiert ihm.

„Was zieht Sie denn in den Englischen Garten rein?”

Dr. Zuckermann ist der einzige Mensch auf den ganzen Planeten der mich siezt. Er macht es seit ich bei ihm bin, und als ich mich beschwerte, sagte er nur damals, „Sie müssen lernen den Respekt der Ihnen zusteht zu akzeptieren.” Was auch immer das heißt.

„Nichts.”

Er lächelt leicht. „Wenn es wirklich nichts wäre, würden Sie nicht regelmäßig dort hin gehen über den Zeitraum eines Monats.”

Ich seufze. „Na gut, dann nicht nichts, aber etwas privates.”

„Privates, Sie möchten es mir nicht sagen, oder privates, Sie können es mir nicht sagen?”

Sein Ton ist besorgt und ich merke wohin seine Gedanken hingehen. Mensch, jetzt muss ich meinen Psychiater beruhigen dass ich in keinen Schwierigkeiten bin, nur weil ich nicht reden will!

„Will nicht drüber reden. Kann schon. Keine Sorgen.” Ich zwinge ein Lächeln auf mein Gesicht für ihn.

Weil das irgendwie nicht hilft, die Falten in seiner Stirn werden nur tiefer, wechsele ich das Thema.

„Meine Mutter hat wieder angefangen mit ihrem Lieblingsthema, ‚Leute mit Borderline Persönlichkeitsstörung sind Schlecht und Nicht Vertrauenswürdig und Taugen Nichts und Kommen zu Nichts’. Kotzt mich voll an.”

„Verständlich. Es hört sich an als ob Ihre Mutter sich nicht völlig informiert hat über Instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typ. Was Sie so erzählen hört sich mehr an wie das Hollywoodbild von der Störung und nicht was in der Fachliteratur für Angehörige steht heutzutage.”

„Als ob sie Bücher für Angehörige lesen würde! Sie und mein Vater sind so sauer dass ich eine Diagnose hab und hier her soll für Therapie. Wäre es nicht für die Schule und die Drohung vom Jugendamt sich einzumischen wenn ich keine Therapie mache, würden sie das überhaupt nicht gutheißen.”

„Verstehe. Und das übt Stress auf Sie aus.”

„Unendlich. Und wenn sie auf mich herumhackt, kommt dann mein Vater auch noch auf ihre Seite und schimpft dass ich nie zu etwas kommen werde so lange ich so tue ‚als ob’ ich krank wäre.”

„Ja, es ist nicht leicht damit umzugehen wenn Ihre primäre Unterstützung nicht an Ihre Krankheit glaubt. Wie wir schon öfters drüber geredet haben, sind Ihre Eltern nicht gerade Ihren besten Rückhalt. Ihr Ziel ist es dort auszuhalten und durch die Schule zu kommen bis Sie ausziehen können.”

„Ich weiß. Ich kriege nur langsam Angst dass ich es nicht aushalte. Meine Noten sind nicht so gut, und ich kriege auch noch Stress darüber.”

„Sind sie schlimm genug dass Sie Nachhilfe brauchen?”

„Ich weiß es nicht. Vielleicht noch nicht. Aber es muss ein Wunder bald passieren damit ich mit guten Noten dieses Jahr abschließe.”

„Dann schauen wir mal. Falls es wirklich so weiter geht, kann ich auch mit Ihren Eltern über Nachhilfe sprechen.”

Die Idee wird mir zu viel. Nachhilfe ist schon eine beängstigende Idee; Dr. Zuckermann mit meinen Eltern reden geht selten gut für mich, und dann noch über Noten und Nachhilfe… Ich merke wie ich anfange wegzudriften, weg von dem hohen Stresspegel, irgendwo zur Leere und Ruhe.

„Fr. Buchstein! Fr. Buchstein, hören Sie mich? Sind Sie noch da?”

Dr. Zuckermanns Stimme bricht durch das graue Nichts meiner Dissoziiation und holt mich halbwegs zurück in sein Zimmer.

„Mmmmm,” sage ich.

„Hier,” sagt er und drückt mir ein Igelball in den Händen. Dankbar quetsche ich den Ball zwischen den Händen und rolle ihn hin und her bis ich wieder komplett da bin.

„Besser?” fragt er, lächelnd.

Ich nicke und blinzele, heil froh wieder da zu sein ob wohl ich gleichzeitig die Ruhe und die Sicherheit des Graus vermisse.

Wir reden noch ein bisschen um sicher zu sein dass ich wirklich wieder da bin und dann ist die Zeit wieder um für heute. Wir sagen tschüss, bis Dienstag, Frohe Ostern, und ich laufe Richtung U-Bahn um Richtung Englischen Garten zu fahren.

 

April und Mai folgen ziemlich ruhig nacheinander. Ich beobachte Anna so regelmäßig dass ich eine ziemlich ordentliche Liste von Wissen über sie gesammelt hab:

  1. Sie benutzt Krücken obwohl ich sie auch mal mit einem Rollator unterwegs gesehen hab.
  2. Sie liebt ihren Hund und auch, deutlich, ihren Bruder.
  3. Die beiden lieben sie zurück.
  4. Es gibt Eltern worüber sie nett und liebevoll reden.
  5. Sie hat gute Noten auf dem Gymnasium.
  6. Sie ist schon 17.
  7. Ihr Geburtstag ist irgendwann in Oktober.
  8. Sie macht Physiotherapie regelmäßig. Warum, weiß ich nicht. Etwas zu tun mit den Krücken, vielleicht?
  9. Ihr Hund ist sehr gut trainiert. Er springt gerne gegen Valentin, aber nie gegen Anna. Er stützt sie auch automatisch wenn sie wackelt auf dem Gras.
  10. Sie lacht viel.
  11. Ich mag es wenn sie lacht.

Ich halte diese Liste privat und zeige ihn selbst Dr. Zuckermann nicht aus Angst dass er mich für ein Stalker haltet. Ich bin aber nicht am stalken, ich kann nur nicht die Mut finden um irgendwie heran zu gehen und mich vorzustellen. Wie würde das sowieso gehen? ‚Hallo, mein Name ist Sophie, ich beobachte dich seit März und finde dich spitze. Lass uns Freunde sein?’ Nöööö. Vergiss es.

Vielleicht kommen wir noch irgendwie zusammen und lernen uns kennen. Das wäre schön. Und wenn nicht, dann nicht. Ich bin ja gewöhnt, das was ich begehre, nicht zu bekommen.

Es wäre doch schön eine Freundin endlich zu haben. Ich habe in der Schule keine. Irgendwie passe ich nicht so zu den anderen Mädchen. Ich gebe mir Mühe aber es klappt nie so richtig.

Ich verliere mich in einen Tagtraum in dem Anna und ich Freundinnen werden und wenn ich wieder zu mir komme, ist sie gegangen mitsamt Bruder und Hund.

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Mittwoch, 2 Juni - Sonntag, 15 August 2010

Ich sitze mal wieder im Englischen Garten wo Anna mit Goethe und Valentin spielt, aber diesmal schenke ich die drei nicht so viel Acht. Es sind Pfingstferien und ich bin schon den ganzen Tag halb weg gewesen. Jetzt sitze ich auf der Bank und lass mich versenken in das vertraute Grau.

Ich weiß nicht wie lange ich weg bin, ich komme immer wieder kurz hoch und bemerke meine Umgebung so halb, aber das wird weniger und weniger. Ich fühle mich entspannen.

Auf einmal reißt lautes Bellen mich zurück zu mir selbst. Ein riesengroßer Hund steht vor mir, sein Körper wie eine feste Mauer zwischen mich und der Fluss keine zwei Meter vor mir. Ich fühle sein Fell und seinen starken Leib gegen meine Beine.

„Hallo, geht’s dir gut? Du bist fast ins Wasser gelaufen!”

Der Sprecher ist groß, mindestens 1,80, drahtig, rothaarig, mit Bart und Brille. Ja Kruzifix, da steht der Valentin vor mir. Jetzt kommt auch Anna an, außer Atem vom langen Weg über dem Feld auf Krücken ohne Pause.

„O mein Gott, alles in Ordnung? Braver Goethe, guter Hund!”

Ich fühle mich verlegen, außer Platz, wie ein Vollidiot. „Passt schon,” murmele ich. „Weiß nicht was über mir gekommen ist. Vielen Dank an Euren Hund.”

Ich drehe mich zu gehen. Eine Hand auf meine Schulter hält mich davon.

„Halt mal, nicht so schnell,” sagt die tiefe, freundliche Stimme von Valentin. „Du bist fast ins Wasser gewandert. Und du siehst nicht so toll aus. Ich glaube du solltest dich mal auf der Bank setzen und durchatmen. Meine Schwester Anna hält dir Gesellschaft während Goethe und ich noch ein bisschen Ball spielen, oder Anna?”

Sie nickt und lächelt mich an, und ich denke mir dass so eine Begegnung auch vielleicht klappen könnte, auch wenn es ungefähr der schlechteste Anfang ist die ich mir ausdenken könnte.

 

Ich sitze mal wieder im Englischen Garten wo Anna mit Goethe und Valentin spielt, aber diesmal schenke ich die drei nicht so viel Acht. Es sind Pfingstferien und ich bin schon den ganzen Tag halb weg gewesen. Jetzt sitze ich auf der Bank und lass mich versenken in das vertraute Grau.

Ich weiß nicht wie lange ich weg bin, ich komme immer wieder kurz hoch und bemerke meine Umgebung so halb, aber das wird weniger und weniger. Ich fühle mich entspannen.

Auf einmal reißt lautes Bellen mich zurück zu mir selbst. Ein riesengroßer Hund steht vor mir, sein Körper wie eine feste Mauer zwischen mich und der Fluss keine zwei Meter vor mir. Ich fühle sein Fell und seinen starken Leib gegen meine Beine.

„Hallo, geht’s dir gut? Du bist fast ins Wasser gelaufen!”

Der Sprecher ist groß, mindestens 1,80, drahtig, rothaarig, mit Bart und Brille. Ja Kruzifix, da steht der Valentin vor mir. Jetzt kommt auch Anna an, außer Atem vom langen Weg über dem Feld auf Krücken ohne Pause.

„O mein Gott, alles in Ordnung? Braver Goethe, guter Hund!”

Ich fühle mich verlegen, außer Platz, wie ein Vollidiot. „Passt schon,” murmele ich. „Weiß nicht was über mir gekommen ist. Vielen Dank an Euren Hund.”

Ich drehe mich zu gehen. Eine Hand auf meine Schulter hält mich davon.

„Halt mal, nicht so schnell,” sagt die tiefe, freundliche Stimme von Valentin. „Du bist fast ins Wasser gewandert. Und du siehst nicht so toll aus. Ich glaube du solltest dich mal auf der Bank setzen und durchatmen. Meine Schwester Anna hält dir Gesellschaft während Goethe und ich noch ein bisschen Ball spielen, oder Anna?”

Sie nickt und lächelt mich an, und ich denke mir dass so eine Begegnung auch vielleicht klappen könnte, auch wenn es ungefähr der schlechteste Anfang ist die ich mir ausdenken könnte.

 

Drei Wochen später bin ich mal wieder bei Dr. Zuckermann als Anna als Thema hochkommt. Ich hab gerade erzählt über Annas Gehbehinderung als Dr. Zuckermann mich komplett aus der Bahn wirft mit folgender Frage.

„Haben Sie Anna schon von Ihrer psychischen Störung erzählt oder das Sie überhaupt in psychiatrischen Behandlung sind?”

Ich kann ihm nur blöd anstarren.

„Ich nehme das als ein nein,” meint er ruhig. „Warum denn nicht? Ich verstehe dass Sie es nicht jeden erzählen, aber es hört sich an als ob Sie schon gute Freundinnen geworden sind und sie hat Sie dissoziiert gesehen. Was mehr wollen Sie?”

Ich weiß es nicht genau, aber schon mehr als das. Viel mehr. Mehr Sicherheit, zum Anfang. Ich suche für die Wörter um das zu erklären.

„Ich… ich möchte nicht mit ihr drüber reden. Noch nicht. Bald.”

„Na gut. Sie müssen es wissen, Fr. Buchstein, es ist Ihre Entscheidung. Es geht ja um Ihre persönliche Information. Ich würde aber raten offen mit Ihrer Freundin umzugehen. Oft spart es Stress und Schmerz später.”

Ich nicke und wechsele das Thema und wir reden weiter über mein Leben zu Hause und wie das weiterhin nicht so toll abläuft und wie meine Eltern meinen meine Therapie eine Zeitverschwendung ist. Ich bin so heilfroh dass ich zumindest Dr. Zuckermann hab der zuhört und vernünftig ist und mich nicht anfaucht oder anschreit über jedes kleines Ding.

 

Ich bin jetzt fast ein Jahr bei Dr. Zuckermann. Ich landete in der Therapie weil die Schule merkte dass ich immer wieder am wegdriften war und mich ritzte um damit besser umzugehen. Sie machten sich Sorgen und meinten zu meinen Eltern dass ich zum Kinder- und Jugendpsychiater sollte. Meine Eltern haben gemeint dass ich keine echten Probleme hatte, dass ich nur Theater machte, und ich kriegte die Hölle heißgemacht zu Hause. Die Schule, aber, blieb dran und drohte das Jugendamt zu rufen. Das hat die gewünschte Wirkung gehabt, und ich kriegte einen Platz bei Dr. Zuckermann.

Dr. Zuckermann arbeitet eigentlich im Heckscher Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, nimmt aber auch Jugendliche ambulant in seinem Büro im Klinikum Gebäude. Da sieht er auch mich Dienstags und Donnerstags um 16.15.

Es hat fast ein halbes Jahr gedauert bis wir ein gutes, stabiles Arbeitsverhältnis hatten, aber jetzt kann ich ihn vertrauen; wir haben einen mündlichen Therapievertrag gemacht, und wir arbeiten langsam an meine Probleme.

Meine Probleme, außer Eltern die nicht an mir glauben und mich ständig erniedrigen, schlechte Noten in der Schule, selbst-verletzendes Verhalten, und ständiges verschwinden in geistiges Nichts (was man „dissoziieren” nennt) kann man eigentlich in eins zusammen fassen wo alle die obengenannte Probleme reinpassen wie Puzzleteile. Es nennt sich ‚Emotionale Instabile Persönlichkeitsstörung - Borderline Typ’ oder ‚Borderline Persönlichkeitsstörung’ für kurz.

Also, offiziell habe ich die Diagnose ‚Emotionale Störung im Jugendalter mit Anfang einer Emotionale Instabile Persönlichkeitsstörung’, denn man darf Diagnosen von Persönlichkeitsstörungen nicht geben vor 20 oder so. Manche Leute wachsen daraus, mit Hilfe und Therapie, andere nicht. Die bekommen dann die volle Diagnose mit Anfang 20, und machen dann weiter Therapie bis es ihnen besser geht.

Jeder hat schon was über Borderline gehört, und wahrscheinlich ist es falsch. Dr. Zuckermann sagt BPS ist ein von den meist missverstandenen Störungen, nicht Krankheit sonder Störung, die es gibt in unsere Gesellschaft.

Um BPS zu bekommen muss man eine genetische Veranlagung haben, prädisponiert sein, und dann muss man ein Trauma oder mehrere Traumata erleben. Meistens kommen die Traumata von Menschen in den vertrauten Umkreis, aber nicht immer.

Borderline sein heißt nicht wissen wer man ist in sein ‚ich’, Emotionen sehr stark und wechselhaft spüren mit Perioden von komplette Leere, selbstverletzendes Verhalten in direkter oder indirekter Form auszuüben, paranoid zu sein oder zu dissoziieren, impulsives Verhalten zu zeigen in Methoden die einen selbst schaden können, zu wechseln zwischen Menschen idealisieren und entwerten, und starkes Bemühen verlassen zu werden zu vermeiden. Nicht jeder wird alle Symptome haben und nicht alle haben jede Symptome gleich stark.

Selber bin ich nicht paranoid, mir ist es gewöhnt dass Menschen mich verlassen also ich akzeptiere es einfacher als das ich probiere es zu vermeiden, und ich schwanke nicht so stark zwischen Idealisierung und Entwertung wie manche. Der Rest passt wie maßgeschneidert.

BPS kann man nicht heilen, aber man kann lernen damit umzugehen bis man es selber so weit im Griff hat dass man den ‚Knick in der Optik’ der die Störung hervor ruft so klein kriegt dass es einem nicht mehr im alltäglichen auffällt. Und, viel wichtiger, dass andere es nicht mehr merken. Dafür geht Therapie aber über Jahre.

Tabletten können nur mit der Syptomatik von Stimmungsschwankungen, Depressionen und Ängste, und zu einen gewissen Punkt, Dissoziiationen helfen, aber man braucht sie um eine leichtere Therapie zu haben. Ich kenne keine die ohne Medikamente Therapie machen.

Ich war nur so froh um zu hören dass es einen Namen gab für wie ich mich fühlte, dass ich nicht am verrückt gehen war, dass es mich nicht störte was für eine Diagnose ich bekam. Meine Eltern, aber, hatten ganz andere Ideen. Die lasen allerlei populäre Bücher über Borderline und wie schlimm es ist mit so jemandem umzugehen, und seit dem sind die nur am meinen entweder dass ich hoffnungslos bin oder dass ich nicht wirklich krank bin, dass ich das alles am vortäuschen bin aus Jux.

Ich hab es niemanden zuvor gesagt; ich hab keine engen Freundinnen die ich es sagen könnte, und meine Eltern haben mir es verboten die Familie davon zu erzählen. Sie schämen sich wohl dass ihr Kind in Therapie ist.

Jetzt die Idee Anna davon zu erzählen bringt mich fast in Panik. Was wenn sie reagiert wie meine Eltern? Ich möchte meine Chance auf eine echte Freundin nicht verderben vor sie anfängt. Ich überlege es mir kaum; ich sage es ihr nicht. Zumindest nicht jetzt.

 

Bücher tauschen bringt Anna und mich schnell zusammen. Von mir lernt sie Philip Pullman und die Goldenen Kompass Serie kennen; sie bringt mir die Freude von Rubinrot und Smaragdgrün von Kerstin Gier bei. Zusammen gehen wir ins Kino und schauen die letzte Show von Sherlock Holmes an und dann noch Alice im Wunderland, finden aber dass wir noch begeisterter sind auf die kommende Verfilmung von Rubinrot der angeblich in Arbeit sei.

Dann kommen die Ferien und ich verbringe so viel Zeit wie möglich weg von zu Hause. Meine Noten sind miserabel geworden, aber ich bin durch gekommen in die 11. Klasse, ohne etwas wiederholen zu müssen. Das heißt nicht dass ich keine 4 hier und da geholt hab. Ich würde mich schämen für mein Zeugnis, aber ich kann mich kaum kümmern.

Ich verbringe meine Zeit in der Stadtbücherei, in Hugendubel am Marienplatz, am Fischbrunnen, am großen Springbrunnen am Stachus, an den kleinen Springbrunnen in der Fußgängerzone zwischen Stachus und Marienplatz, am Friedensengel, und im Englischen Garten mit Anna und manchmal Valentin und Goethe.

Anna und ich dürfen jetzt auch manchmal Goethe alleine ausführen so lange ich da bin um die Leine zu nehmen denn es besteht einen winzigen Gefahr dass er Anna umwerfen könnte, würde sie probieren ihn alleine zu führen.

„Ich finde es blöd,” schimpft sie eines Tages wo wir zu dritt, sie, ich, und Goethe, den Weg zum Park entlang gehen. „Er ist so gut trainiert, er würde mich nie umwerfen oder in Gefahr bringen.”

„Ja, ich weiß, aber deine Eltern meinen er könnte mal Angst bekommen von einem unbekannten Geräusch oder so etwas und dann probieren abzuhauen und dich mitnehmen.” Ich probiere sachlich zu bleiben, aber es hilft nicht viel.

„Jetzt bist du auf meiner Seite oder deren Seite?” schnauzt sie und ich merke meinen Fehler zu spät.

„Deine, natürlich deine. Verzeihung.”

Es gibt Stille für ein Paar Minuten und dann spricht sie wieder.

„Tut mir leid. Ich weiß du bist auf meiner Seite. Ich hätte dir den Kopf nicht abbeißen sollen.”

„Passt schon. Ich hätte besser über meine Argumente denken sollen.”

Sie grinst. „Freundinnen?”

„Freundinnen.”

 

 

Ich hab Geburtstag am 7. August. Meine Eltern meinen ich bin jetzt mit 16 zu alt um groß zu feiern. Ich bekomme ein Buch über selbstgesteurtes Lernen und einen neuen Pullover. Dann trinken wir Kaffee zusammen und essen Kuchen die meine Mutter gekauft hat anstatt selber zu backen. Danach ritzte ich mich im Bad bis ich nicht mehr drohe zu dissoziieren.

Anna schenkt mir Rubinrot als Hörbuch denn sie weiß ich hab zur Zeit Schlafprobleme und dachte es könnte vielleicht helfen so ein tolles Buch vorgelesen zu bekommen. Ich finde es eine tolle Idee und noch toller dass ich endlich mal wieder vorgelesen werde. Ich bekomme auch eine ganz lustige Karte mit einem Foto von einem Hund mit Sonnenbrille drauf. Wir machen uns einen guten Tag und ich vergesse fast wie es mit meinen Eltern war.

Nachts probiere ich das Hörbuch aus und es hilft tatsächlich. Mir würde nicht mehr vorgelesen seit ich im Kindergarten war, und da kommen schöne Erinnerungen wieder hoch während die wirklich guten Stimmen die bekannte Geschichte lebendig machen. Ich schaukele in den Schlaf und hab eindeutig weniger schlimme Albträumen.

 

Kurz nach meinem Geburtstag meint Anna sie hat eine Frage die ich nur antworten sollte falls sie nicht zu peinlich ist für mich.

‚O nee,’ denke ich mir. ‚Sie hat gemerkt dass ich irgendwie anders bin und will mich ansprechen über meine psychiatrischen Probleme.’ Aber es ist ganz etwas anderes.

„Du, Sophie,” fragt sie, „wie ist es dass du mit in der 10. Klasse bist, wenn du jetzt erst 16 geworden bist? Solltest du nicht in der 9. sein?”

Ich lächele breit vor Erleichterung dass sie nur so eine Frage hat.

„Ach, weißt du,” sage ich, „meine Eltern sind ziemlich überengagiert und haben mich schon ein Jahr früher aus dem Kindergarten in die erste Klasse gesteckt. Seit dem bin ich immer die Jüngste in der Klasse.”

„Findest du das nicht schrecklich?”

Ich zucke mit den Schultern. „Ich kenne ja nichts anders. So läuft es einfach, und bis jetzt hat es immer geklappt. Und es ist ja nur ein Jahr, also es ist wirklich nicht so krass.”

Anna nickt und wechselt das Thema, wofür ich dankbar bin, denn es ist nicht ganz so einfach wie ich es dargestellt habe. Ich habe lange Verdacht geschöpft dass ich keine Freunde in der Schule habe, dass ich nicht wirklich dazu gehöre, weil ich jünger bin und reiflich nicht dazu passe.

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Montag, 23 August - Dienstag, 1 November 2010

 

In späten August traue ich mir Anna zu fragen warum sie immer mit Gehhilfen geht. Ihre Reaktion ist nicht die die ich erwarte: sie lacht.

„Du hast Recht! Ich hab’s dir noch nie erzählt, oder?”

„Ähm, nee?”

„Na gut, ich habe Ehlers-Danlos-Syndrom. Das ist ein genetischer Defekt dass das ganze Bindegewebe im Körper zerstört. Bindegewebe ist überall, richtig?”

Ich nicke.

„Und es sollte funktionieren wie ein Gummiband. Du bewegst dich, das Bindegewebe dehnt sich, und zieht sich dann wieder zurück. Na, bei EDS dehnt das Bindegewebe sich schon aus, aber es zieht sich nicht wieder zurück. Es wird lockerer und lockerer und dann können Gelenke luxieren, also aus der Pfanne springen, und die Sicht wird schlimmer, Haut wird überdehnbar, interne Organe werden schlapper, usw. Meine Hüften und Knie halten mich nicht mehr wie sie sollten, darum benutze ich Stützen, und wenn es ein arg schlimmer Tag ist, dann halt ein Rollator.

Ist nicht heilbar, leider, und es gibt auch keine echte Behandlung dafür, nicht wie für die meisten Krankheiten. Alles was die machen können ist Physio und Schmerzmittel zu lindern von Schmerzen und ein bisschen Stabilisierung der Gelenken um den Abbau zu verlangsamen so lange wie möglich. Aber es ist schleichend, und irgendwann werde ich dran sterben.”

Ich muss wohl ein bisschen erschreckt geguckt haben von dieser Liste die sie so locker runter gerasselt hat denn sie tätschelt meine Hand und grinst.

„Alles gut, Sophie. Alles halb so wild wie es sich anhört. Alle müssen irgendwann sterben. Bis dann, na ja. Man lebt damit. Muss, ja?”

Da nicke ich wieder und das Gespräch wechselt sich weiter auf Thema Fantasy und unsere Fantasiewelt die wir entwerfen für unsere Geschichten über Charakteren aus den Büchern von Cassandra Clare.

 

Am Abend, wenn ich in Bett liege denke ich mir wie leicht und unkompliziert Anna das gemacht hat mit der Erklärung ihrer Behinderung. Ich hab es wikifiziert und sie hat schon große Details ausgelassen, aber der Kern war drin. Das könnte ich nie. Erstens ist Borderline ganz schön kompliziert, zweitens möchte ich es rüber kriegen ohne den Stigma die es noch hat heutzutage, und drittens hab ich einfach kein Vertrauen in mich selbst es richtig zu machen. Das, übrigens, hört zur Störung dazu, sagt Dr. Zuckermann. Perfekt! Kann ich gerade noch brauchen.

Dr. Zuckermann meint noch immer ich sollte Anna gegenüber offen sein über meine Probleme. Sie war jetzt voll offen über ihre, aber das ist ja was anderes, körperliche Gendefekte die eine Gehbehinderung verursachen als eine psychische Störung die ein genetisches Teil hat aber als meiste von den Eltern und wie man behandelt würde als Kind (in mein Fall, zumindest) stammt. Anna mit ihren tollen wenn ein bisschen überängstlichen Eltern und super Bruder und gesundes Familienleben würde das schlecht verstehen können, meine ich.

Trotzdem, sie hat ja auch etwas dass nicht direkt heilbar ist, dass man nur indirekt „behandeln” kann, wo man jeden Tag schwer dran arbeiten muss. Würde das sie nicht sympathischer zu meiner Lage machen?

Dann schnaufe ich. Meine Probleme sind nichts wie Annas Krankheit. Sie hat eine echte Behinderung, mit Schwerbehindertenausweis 100 Prozent und Merkzeichen ‚G’ und ‚B’. Ich bin nur verrückt.

Ich schiebe alle Gedanken von meiner Störung teilen oder öffentlich machen weg, und probiere zu schlafen.

 

Die Schule fängt wieder an, 11. Klasse. Wir fangen die Arbeit in Vorbereitung für das Abi und der Druck steigt. Ich falle weiter und weiter zurück. Anna schafft irgendwie regelmäßig 1er und 2er, und ich weiß ihre Schule ist nicht leichter als meine. Sie will an der Uni Naturwissenschaft studieren, was ich toll finde. Ich hab keine Ahnung was ich weiterhin machen möchte, was vielleicht ein bisschen problematisch ist denn es wird Zeit das auszumachen. Alle andere wissen es schon oder finden es raus. Nur ich kann mich nicht genug kümmern um darüber nachzudenken.

Meine Eltern machen Druck dass ich einen guten Abi schreibe und dann auf die Uni gehe und Jura studiere. Ich weiß aber überhaupt nicht ob ich Jura studieren möchte. Jura hört sich schrecklich an; voller Papierkram und ernste Leute und strenge Regeln. Und wer weiß, darf ich Jura studieren mit einer Psychiatrieakte? Bestimmt wollen die nur stabile Leute, geistig Normale, nicht Menschen wie mich.

Leider habe ich keine andere Ideen für was ich studieren könnte (wenn ich überhaupt studieren will, was für mich noch offen liegt), und darum habe ich keine Gegenargumente meinen Eltern anzubieten. Ich mache darum dass was sie mir sagen und hasse es und sie zunehmend während meine Noten wackeln und fallen und meine Eltern meinen ich sollte mich doch ein bisschen mehr anstrengen.

 

 

Eines Tages treffe ich Anna im Englischen Garten und merke dass sie völlig aufgeregt ist, eine Mischung zwischen wütend und verletzt. Wenn ich sie frage was los ist will sie zu erst nicht reden. Nach langem Locken kommt sie endlich raus mit der Sprache.

„Ach ja, irgendeinen Typ hat mir wieder ‚Spasti’ zugerufen als ich durch den Marienplatz Bahnhof lief,” sagt sie leise.

„Was?! Das ist ja nicht zu glauben!” schimpfe ich empört. Ich bin verletzt für sie, dass jemand sie so beleidigen könnte, und schockiert dass unsere Gesellschaft noch immer so rückwärts ist dass jemand so etwas tun kann und niemand kommentiert darauf oder nimmt ihr in Schutz.

Und es erinnert mich nur dass ich Glück habe dass meine Probleme meistens unsichtbar sind, dass ich noch einen Grund habe niemand davon zu erzählen aus Angst dass ich ‚Psychopath’ hören muss oder noch schlimmeres, dass ich ausgeschlossen werde… Nein, ich bin doch nicht so blöd um freiwillig die Situation zu wählen mit der Anna täglich kämpfen muss.

„Dein Geschimpfe hilft auch nichts,” seufzt Anna. „Aber es freut mich dass du es auch empörend findest. Arschlöcher sind leider Arschlöcher und die findest du überall. Gott sei Dank, gibt es mehr anständige Leute als unanständige, durchschnittlich gesehen.”

Ich staune sie an. „So gehst du damit um?”

„Wie sonst? Man kann sich nur so oft aufregen. Verletzt fühlen passiert automatisch aber es wird weniger mit der Zeit. Und die guten Leute machen den Unterschied über langer Zeit, glaub mir.”

Ich kann es mir nicht vorstellen, aber ich muss ihr glauben. Was kann ich jetzt für sie tun? Ich überlege kurz was ich wollen würde an ihrer Stelle, und entscheide mich dann sie abzulenken.

„Komm,” sage ich. „Gehen wir spazieren. Ich habe so viel dir zu erzählen über heute in der Schule.”

Sie lächelt und sieht wahrscheinlich komplett durch meine List, aber nickt und steht auf von der Parkbank wo wir saßen.

„Gehen wir,” sagt sie. „Ich freue mich drauf.”

 

Anna hat Geburtstag am 31. Oktober und wird 18. Ich schenke ihr das neue Buch von Cornelia Funke, Reckless: Steinernes Fleisch. Sie verspricht es mir auszuleihen so bald sie es selber gelesen hat. Wir treffen uns bei Rischart und essen Kuchen und trinken heiße Schokolade mit viel Sahne und trinken auf ihr neues Lebensjahr. Es soll ein gutes werden.

Danach fahren wir zu ihr und ich kotze mich aus über meine Eltern und die Schule. Anna hört gut zu und bietet Mitleid an; Mitgefühl kann sie leider nicht anbieten, denn selber kennt sie das alles nicht.

„Kannst du nicht Nachhilfe kriegen?” fragt sie.

Ich stöhne. „Dafür müssten meine Eltern zugeben dass ich wirklich nicht klar komme mit dem Stoff und nicht nur faul und unmotiviert bin. Und das wird nie passieren. Lieber brüllen und nörgeln und schieben sie die Schuld auf mich. Bis ich durchfalle, nimm ich an.”

„Genau! Und was dann?”

„O Gott.” Ich verberge mein Gesicht in meine Hände. Ich will nicht nachdenken über die Idee von in der Schule durchfallen. „Die bringen mich um.”

Anna lacht. „Nee, machen sie nicht. Dann müssten sie ihre einzige Tochter bestatten.”

Sie sieht das viel zu locker. Für sie ist das nichts so gefährliches. Wie kann ich ihr erklären dass ich wirklich Angst habe davor nicht durchzufallen aber die Reaktion meiner Eltern drauf?

Ich lass es lieber und wechsele das Thema. „Wie war die Feier mit deiner Familie? Erzähle mal!”

Und dann erzählt Anna über Kaffee und Torte mit ihrer ganzen Familie am vorherigen Tag weil das der Tag war an der ihrer Großeltern kommen konnten und zeigt mir ihre Geschenke und das Thema Noten und meine Familie ist, glücklicherweise, vergessen.

 

November kommt mit Regen und Kälte. Es gibt keine Chance in den Herbstferien wirklich rauszugehen. Schade. Wir treffen uns jetzt immer am Marienplatz am Hugendubel oder nebenan am Rischart für heiße Schokolade denn der Englische Garten ist nur ekelig und die Springbrunnen sind zu für den Winter. Unsere Fantasiewelt wird ausgedehnter und unsere ausgeborgten dramatis personae wachsen und gedeihen sich in ihren neue Rollen. Es macht Spaß unsere eigene Ideen auszuprobieren auch wenn wir vieles von Cassandra Clare und die Chroniken der Unterwelt ausgeborgt haben. Ich wundere mir wie es wäre die Geschichte von Gwendolyn und Gideon von der Edelstein Trilogie weiter zu arbeiten, meine aber das wäre noch zu kompliziert. Und sowieso, ich will warten auf das letzte Buch das am 8. Dezember raus kommt um zu sehen was Kerstin Gier damit macht. Das wird ja spannend!

Unsere Freundschaft ist jetzt echt eng geworden und Anna redet jetzt auch öfters darüber wenn sie müde oder genervt ist von ihr EDS. Manchmal denke ich mir dann das wäre doch eine gute Zeit um sie über meine Borderline Störung aufzuklären, bekomme jedoch jedes Mal kalte Füße. Ich will sie doch nicht noch extra Belasten, rede ich mir ein. Sie hat gerade genug um die Ohren. Und so, Ausrede vor Ausrede, gehen die Chancen es ihr beiläufig zu erwähnen vorbei.

 

Ich darf mal mit wenn Anna zur Physiotherapie geht. Wir treffen uns am Sendlinger Tor, laufen dann zum Gebäude. Die Physio ist im dritten Stock. Wenn wir rein kommen kennen alle Anna und grüßen sie, Sprechstundenhilfe, andere Therapeuten, alle.

„Hallo, Anna!”

„Hallo, Anna! Wen hast du denn dabei heute?”

Anna grinst, sagt hallo, und meint dass sie eine Freundin heute dabei hat um zu zeigen was sie so macht zweimal die Woche. Dann kommt ihre Therapeutin raus.

„Hallo, Anna! Wir sind heute im großen Raum wenn du dein Publikum dabei hast. Holst du dein Tuch?”

„Joa,” sagt Anna und hoppelt den Flur runter. Ich folge sie in einen kleinen Raum wo die Wände voll sind mit Fächer wo aufgerollte Tücher liegen. Anna packt die Nummer 17 und wir gehen in Behandlungsraum 5.

Der Raum ist groß mit allerlei Geräte die ich nicht erkenne, einen Tisch wo Anna ihre Tücher drauf legt, und etliche Hocker. Während ich noch mich umgucke, fängt sie sich auszuziehen.

Ich muss überrascht ausgeschaut haben, denn sie lacht. „Teil von meiner Physio ist Massage, und das funktioniert nur auf bloße Haut. Darum ziehe ich mich immer bis BH und Slip aus.”

Ich nicke. Anna zieht sich fertig aus. Dann kommt die Therapeutin rein.

„Hallo,” sagt sie zu mir. „Ich bin die Michaela. Nenne mich Michi.”

„Sophie. Hallo.”

Michi ist klein und zierlich aber voller Muskeln. Und ich sehe wofür sie sie braucht als ich die Behandlung beobachte. Michi und Anna machen allerlei Übungen mit einem elastischen Band das sich Thera-Band nennt, Übungen die sich ganz leicht ansehen aber die Anna deutlich anstrengen.

Dann legt Anna sich auf dem Tisch hin und Michi macht die komischsten Bewegungen mit Annas Armen und Beinen, bewegt sie in alle Richtungen, zieht an sie, faltet sie in Knoten, vor sie sie wieder ordentlich hinlegt. Annas Gelenke knacksen laut während dieses was beide irgendwie als normal und gut ansehen.

„Was machst du?” wage ich endlich Michi zu fragen.

„Hier? Hier mobilisiere ich Annas Gelenke wieder und sorge dass sie richtig sitzen,” erklärt sie. Als sie mein Gesicht sieht und merkt dass das mir nicht so viel sagt, erklärt sie weiter. „Ich bewege ihre Gelenke durch bis sie sich lockern und wieder bereit sind normal voll durchzubewegen anstatt fest zu sitzen, festgehalten von Muskeln die hart geknotet sind. Dann sorge ich dass ihre Gelenke auch richtig in ihre Plätze sitzen und nicht subluxiert sind. Und jetzt machen wir Massage um die Knoten zu lösen.” Sie lässt Annas Arm los und wartet bis Anna sich umdreht auf dem Bauch. „Ich arbeite die Knoten aus den schlimmsten Stellen damit Fräulein Anna hier es wieder ein Paar Tage aushalten kann.”

Für so eine kleine Person hat Michi arg viel Kraft. Ich schaue zu wie sie mit Händen und Ellbogen die Stellen bearbeitet die Anna andeutet als am schlimmsten für heute.

Danach holt Michi Wärmepackungen und wickelt Anna ein für 20 Minuten Wärmetherapie. Ich setze mich auf den Hocker neben dem Tisch und halte sie Gesellschaft. Wir quatschen über dies und jenes und bald ist die Zeit um. Dann zieht sie sich langsam wieder an, faltet ihr Tuch und legt es wieder weg, und wir gehen.

„Tschüss, Anna, bis nächste Woche!” sagt die Sprechstundenhilfe als wir gehen.

„Tschüss, bis dann,” ruft Anna zurück.

„Das machst du also zweimal die Woche, jede Woche,” sage ich beeindruckt.

„Plus die tägliche Übungen die ich alleine machen,” meint sie.

„Wahnsinn,” sage ich. „Das würde ich nie aushalten.”

Später aber, wenn ich darüber nachdenke, fällt mir auf, ist es nicht etwas ähnliches was ich mache zweimal die Woche mit Dr. Zuckermann? Nicht jeder hätte die Kraft das auszuhalten. Anna und ich haben wirklich mehr gemeinsam als man glauben würde. Aber ich kann mir noch immer nicht vorstellen ihr was davon zu erzählen.

 

Ich erwähne meine Noten und meine Angst durchzufallen auch Dr. Zuckermann gegenüber. Er meint, wie Anna auch, ob Nachhilfe nicht sinnvoll wäre. Ihm gegenüber, aber, erkläre ich die Situation mit meinen Eltern. Seine Reaktion macht mich nervös, aber.

„Fr. Buchstein,” sagt er langsam, mit besorgter Miene, „sind Sie in direkter Gefahr zu Hause? Haben Sie Angst mit Ihren Eltern umzugehen? Ich kann das Jugendamt einschalten wenn notwendig. In bestimmten Fällen, muss ich sogar das Jugendamt informieren.”

Ich bekomme Panik. „Ich habe nichts gesagt,” meine ich. „Wenn Sie das Jugendamt anrufen werde ich sagen dass es alles ein Missverständnis war und dass alles in Ordnung ist und meine Eltern werden das bestätigen. Und das wird nur mehr Probleme im Ende machen als es etwas löst. Glaube Sie mir.”

Dr. Zuckermann seufzt und reibt sich die Stirn. Er schaut mich ganz durchdringend an und ich tue mein Bestes ihn so ernst wie möglich anzuschauen. Endlich nickt er sehr langsam.

„Ich verstehe,” sagt er. „Aber ich möchte Sie an Ihren Therapievertrag erinnern. Falls Sie je in Not sind, vor Sie etwas machen dass Sie vielleicht bereuen werden, rufen Sie mich an. Die Nummer steht auf meine Karte. Wenn ich Feierabend hab, kriegen Sie den Dienstarzt der Klinik. Haben Sie noch meine Karte? Brauchen Sie ein neues?”

„Nein, ich hab sie noch. Steckt in mein Geldbeutel.”

„Gut. Versprechen Sie mir es noch einmal, Fr. Buchstein.”

Ich seufze und nicke. „Versprochen.”

„Gut,” sagt er. Und dann wandert das Thema auf meine dissoziiativen Episoden und wie ich damit besser umgehen kann und er gibt mir ein paar Hausaufgaben für die Achtsamkeitstherapie und dann ist unsere Zeit schon wieder um.

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Mittwoch, 1 Dezember - Freitag, 31 Dezember 2010

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Samstag, 1 Januar - Montag, 14 Februar 2011

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Montag, 14 Februar 2011

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Dienstag, 15 Februar - Donnerstag, 31 März 2011

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Freitag, 1 April - Donnerstag, 7 April 2011

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Freitag, 8 April - Dienstag, 24 Mai 2011

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Dienstag, 24 Mai - Donnerstag, 9 Juni 2011

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Freitag, 17 Juni, 2011

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Dienstag, 16 August - Montag, 14 November 2011

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Montag, 14 November - Samstag, 19 November 2011

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Dienstag, 3 Januar - Dienstag, 20 März 2012

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Mittwoch, 21 März 2012

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Montag, 16 Juli - Donnerstag, 16 August 2012

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